Bis in alle Ewigkeit
Verdacht zu geraten, sie sei religiös. Sie hat einen Rotarmisten mit kristallklarer proletarischer Abstammung geheiratet. Sag mal, was piept denn da die ganze Zeit?«
»Mein Mobiltelefon. Eine SMS.«
»Na dann lies sie doch. Und stell mal eine vernünftige Melodie ein. Dieses Gezwitscher nervt fürchterlich.«
»Warum nimmst du nicht ab? Jedenfalls herzlichen Glückwunsch! Vielleicht sehen wir uns endlich mal?«, las Sofja.
Diesmal stand keine Unterschrift darunter, aber Sofja wusste, von wem das kam, und schrieb zurück: »Danke. Bin gerührt. Glück und Gesundheit!«
Die Antwort kam kurz darauf.
»Sehen wir uns oder nicht?«
Darauf antwortete Sofja nicht mehr, sie schaltete das Telefon ab.
»Sag mal, wie steht’s eigentlich mit deinem Privatleben?«, fragte ihre Mutter. »Wie geht es dem netten Petja?«
»Petja geht es gut. Er hat geheiratet, und seine Frau hat Zwillinge bekommen, zwei Jungen.«
»Läufst du deshalb ungekämmt und mit ungeschminkten Wimpern herum und trägst im Winter Turnschuhe?«
»Nein, Mama, es ist umgekehrt. Eben darum hat er mich nicht geheiratet. Aber jetzt will er sich unbedingt mit mir treffen. Er hat Sehnsucht. Hat wohl sonst nichts zu tun!«
»Sofie, ich wünsche mir Enkel.«
»Meinst du, es hilft, wenn ich mich hübsch frisiere und mir die Wimpern tusche?«
»Jedenfalls würde es nicht schaden. Ich könnte ja noch verstehen, wenn du hoffnungslos hässlich wärst, wenn du irgendwelche sichtbaren Makel hättest. Aber sieh dich doch an: Eine ausgezeichnete Figur, gut gebaut, schlank, blaue Augen, eine hübsche Nase.«
»Ein Kussmund.« Sofja zog vor dem Spiegel eine Grimasse und streckte die Zunge heraus.
»Roter Lippenstift würde dir sehr gut stehen. Außerdem bist du naturblond, und das verpflichtet. Der Marilyn-Monroe-Stil ist natürlich nicht deins, dafür bist du zu streng und ernst. Eher Marlene Dietrich. Roter Lippenstift, die Haare schulterlang, aber natürlich gepflegt, ordentlich frisiert. Hörst du mir zu, Sofie? Hör auf mit den Grimassen!« Die Mutter war drauf und dran, wütend zu werden.
Seit Sofjas sechzehntem Lebensjahr schärfte sie ihr immer wieder ein, eine Frau müsse sich um sich kümmern, ihren eigenen Stil finden und strikt dabei bleiben. Sie wollte nicht akzeptieren, dass man auch mit Maniküre, rotem Lippenstift und farblich aufeinander abgestimmten Schuhen und Handtaschen einsam und kinderlos bleiben konnte.
»Sofie, da war doch noch Grischa, so ein gebildeter, stiller Mann. Hat der etwa auch geheiratet?«
»Nein. Aber von dem willst du bestimmt keine Enkel. Er schnupft Kokain und lebt nur noch im Internet. Doch wir waren bei meinem Urgroßvater, dem Rotarmisten mit kristallklarer proletarischer Abstammung.«
»Warte. Sag mir erst, wer dir diesen prächtigen Blumenstrauß geschickt hat, den du in den Mülleimer gestellt hast, und eine SMS früh um halb vier?«
»Wie kommst du darauf, dass das ein und derselbe war?«
»Etwa nicht?«
»Natürlich nicht.« Sofja seufzte. »Die Rosen sind von der Firma, die mir die Stelle anbietet. Die SMS ist von Petja. Der Arme langweilt sich offenbar mit seiner jungen Frau und den kleinen Zwillingen. Sucht Abwechslung. Mama, wenn ich mir jetzt eine Zigarette anzünde, prophezeist du mir dann bitte nicht gleich einen frühen Tod durch Kehlkopfkrebs?«
»Schon gut, rauch nur. Wieso habt ihr euch denn getrennt, du und Petja? Du mochtest ihn doch, er war ein so guter, kluger Junge.«
»Bitte, Mama, hör auf. Er hat Familie, zwei Kinder. Wenn er gut und klug wäre, würde er mich jetzt in Ruhe lassen. Es ist besser so. Stell dir vor, ich hätte ihn geheiratet, ein Kind gekriegt, und er würde seiner vorigen Liebe zärtliche SMS schreiben.«
»Schon gut. Sei nicht traurig.« Die Mutter stand auf und küsste Sofja auf den Scheitel. »Drück deine stinkende Zigarette aus und schau dir endlich an, was ich dir mitgebracht habe.«
Moskau 1916
Ossja schlief. Tanja lief immer wieder hin und schaute nach ihm. Jedesmal, wenn sie in den winzigen Raum blickte, spürte sie, wie ihr Herz stockte: Wenn der Junge nun nicht mehr atmete? Aber er atmete, schwer und röchelnd.
In Sweschnikows Arbeitszimmer kochte auf einem Spirituskocher der Teekessel. Schwester Arina hatte Gebäck gebracht. Zwei diensthabende Ärzte schauten vorbei, sie wollten mit Oberst Danilow reden. Zwar erzählten die Verwundeten jeden Tag einiges, und die Zeitungen druckten Frontberichte, trotzdem war alles nebulös und widersprüchlich. Sweschnikow
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