Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Daschkowa
Vom Netzwerk:
unrasiert, Ihr Haar ist ganz grau, als wären nicht drei Monate vergangen, sondern drei Jahre. Kommen Sie, ich mache Ihnen wenigstens einen Tee. Nun lassen Sie doch Mantel und Mütze hier, hängen Sie sie dort auf. Wie soll ich Sie denn lieben? Aus der Ferne? Ich warte und warte, nach jenem Brief – kein Wort mehr, keine Nachricht. Nur im Traum sehe ich Sie.«
    Sie sprach hastig und leise und führte ihn an der Hand die Treppe hinauf und durch die stillen Flure. Er folgte ihr und lächelte glücklich.
Moskau 2006
    Wieder zu Hause, stürzte Sofja sofort in ihr Zimmer.
    »Wie schön! Was für herrliche Rosen!«, rief ihre Mutter im Flur. »Warum hast du sie in den Mülleimer gestellt? Und wo bist du hin? Hilf mir den Koffer auspacken, da sind Geschenke für dich drin.«
    Die Antwort war ein Poltern. Als die Mutter ins Zimmer kam, saß Sofja auf dem Fußboden, Papiere, Mappen, CDs, zerbrochene Bleistifte und alte Kalender vor sich ausgebreitet. Neben ihr lag ein aus dem Schreibtisch herausgerissenes Schubfach.
    »Entschuldige, ich muss mein Adressbuch finden«, sagte Sofja.
    »Wieso diese Eile? Wen willst du denn nachts um drei anrufen?«
    »Anrufen werde ich morgen. Aber ich muss mich überzeugen, dass ich die Nummer noch habe.«
    »Wessen Nummer?«
    »Die von Fjodor Agapkin. Ich muss mich unbedingt mit ihm treffen.«
    Ihre Mutter fand das Adressbuch. Agapkins Nummern, zu Hause und mobil, standen unter »A«. Sofja fiel ein, dass der alte Mann ihr den Zettel mit den Nummern irgendwie hastig und verstohlen zugesteckt hatte, als Bim auf der Toilette war, und dabei geflüstert hatte: »Verlieren Sie sie nicht, ich bitte Sie! Schreiben Sie sie in Ihr Adressbuch!«
    »Ich bin sicher, das ist eine Verwechslung«, sagte die Mutter, »das ist bestimmt ein anderer Agapkin. Er kann unmöglich 116 Jahre alt sein. Dann würde er längst im Guinness-Buch der Rekorde stehen und im Fernsehen gezeigt werden.«
    »Das will er nicht. Wie alt er ist, wissen nur wenige Auserwählte.Man darf Uneingeweihte nicht in Versuchung führen. Seine Worte.«
    »Vielleicht ist er einfach senil? Oder nicht mehr ganz richtig im Kopf. Was ist sein Fachgebiet?«
    »Die Alchemie.«
    »Na prächtig, gratuliere! Bim hat dich auf den Arm genommen, und du Dummchen hast ihm geglaubt. Ich kann mir vorstellen, wie er zusammen mit diesem Alten über dich gelacht hat. Hat er dir vielleicht auch Gold gezeigt, das er aus Blei gemacht hat?«
    »Er befasst sich mit der Geschichte der Alchemie, er macht nicht selber Gold. Ja, wahrscheinlich haben er und Bim mich auf den Arm genommen. Aber selbst wenn – dieser Alte weiß sehr viel über Professor Sweschnikow, vielleicht kann er mir erklären, woher die Fotos stammen.«
    »Welche Fotos?«
    Sofja erzählte ihrer Mutter von der Aktentasche, die ihr Vater aus Deutschland mitgebracht hatte, und zeigte ihr die Fotos.
    Die Mutter betrachtete sie lange und griff wie Nolik zu einer Lupe.
    »Ja, natürlich, das ist deine Großmutter Vera, ohne jeden Zweifel. Und das Kind auf ihrem Arm ist wahrscheinlich dein Vater. Aber ich verstehe nicht, warum der junge Mann in der Uniform eines SS-Leutnants dich so schockiert. Oma Vera hat seit ihrem siebzehnten Lebensjahr für den NKWD gearbeitet. Sie war eine glühende Komsomolzin, Beststudentin, eine Schönheit – ein vielversprechender Kader. Schon im dritten Studienjahr ging sie auf eine Art Kundschafterschule. Der junge Mann auf dem Foto ist vermutlich ein Kommilitone, vielleicht hat er die Uniform einfach nur anprobiert, sie sollten ja Kundschafter werden. Du denkst, dein Großvater, Papas Vater, war keineswegsder Nachbarsjunge, der Komsomolze und Pilot, sondern dieser SS-Mann?«
    »Ich denke gar nichts. Erzähl mir von Oma Vera, woran du dich erinnerst.«
    »Sofie, woran soll ich mich erinnern? Sie war schon tot, als ich geboren wurde. Ich weiß nicht, was für eine Schwiegermutter sie gewesen wäre. Diese Rolle hat für mich ihre Mutter gespielt, Papas Großmutter. In den wenigen Jahren, in denen wir zusammengelebt haben, durfte ich mir jeden Morgen anhören, Dima habe mich nur geheiratet, weil ich Vera heiße, dieser Name sei ihm heilig, und das sei auch mein einziger Vorzug. Vera war ein roter Engel, die personifizierte Güte, Klugheit und Schönheit. Außer Deutsch sprach sie auch Polnisch. Deine Urgroßmutter war Polin, eine heimliche Katholikin und Adlige, darum hat sie ihr Leben lang gezittert und den ›Engel‹ immer mit dem Adjektiv ›rot‹ versehen, um nicht in den

Weitere Kostenlose Bücher