Bis in den Tod hinein
Redaktionsleiter der Tageszeitung Das Fadenkreuz im Pausenraum auf die fehlerhafte Arbeit seiner Kollegin angesprochen. Dieser hatte seinen langjährigen Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass vieles von dem, was dieser an der Arbeit seiner Kollegin beanstandete, laut dem Standardwerk der deutschen Rechtschreibung mittlerweile zulässig sei.
» Da können die schreiben, was sie wollen: Es heißt nicht stolz wie Oskar. Es heißt frech wie Oskar. Das kommt aus dem Jiddischen, von ossoker. Und das heißt: frech!«
» Sie sehen das zu verbissen«, versuchte der Redaktionsleiter Anselm zu beschwichtigen, als endlich der gewünschte Cappuccino aus dem Automaten kam. » Sprache ist eben einem ständigen Wandel unterzogen. In dem Moment, in dem eine Redewendung benutzt und verstanden wird, existiert sie nun mal. Und wir sprechen ja heute auch nicht mehr so wie vor fünfhundert Jahren.«
Drexlers Vorgesetzter machte daraufhin Anstalten, sich in sein Büro zurückzuziehen, und Anselm war schmerzlich bewusst, dass vermutlich jeder in der Redaktion die Sicht seines Chefs teilen würde. Und wenn er ehrlich zu sich war, dann erboste ihn auch weniger die Haltung, die man beim Fadenkreuz zur deutschen Sprache vertrat. Viel mehr war es die Art, wie man im Verlag über seinen Posten dachte. Das Korrektorat war in den Augen der meisten Kollegen eine Abteilung, die in Zeiten automatischer Korrekturprogramme eher ins Museum als auf die Gehaltsliste gehörte. Und auch seine Kollegin Sonja Wendorff, zugleich die Großnichte des Chefredakteurs, hatte man ihm zweifellos nur deswegen zur Seite gestellt, weil die offensichtlich wenig sprachbegabte Frau mit der Anstellung beim Fadenkreuz eine Gefälligkeit bei ihrem Verwandten eingelöst hatte.
» Aber wer, wenn nicht wir, soll sich denn noch für unsere Sprachkultur einsetzen? Wer, wenn nicht die Medien?«, verteidigte Anselm seine Beschwerde, während er dabei versuchte, dem Redaktionsleiter wie zufällig den Weg zu versperren. » Man muss nur den Fernseher einschalten oder mal ins Internet gehen. Sich Schilder angucken. Niemand, wirklich niemand legt mehr Wert auf korrektes Deutsch!«
Sein Vorgesetzter erkannte, dass es das Beste sein würde, Anselm das Gefühl zu vermitteln, er nehme ihn ernst. Er trank noch einen vorsichtigen Schluck seines viel zu heißen Kaffees und lächelte Drexler dann an.
» Deswegen haben wir Sie ja auch im Team. So eine Zeitung ist ja im Grunde wie ein Uhrwerk: Dreht sich nur ein einziges Rädchen nicht, dann ist gleich die ganze Uhr kaputt.« Als er das sagte, kam dem Redaktionsleiter etwas in den Sinn, nach dem er Anselm schon immer befragen wollte. » Ich habe mal mitbekommen, dass Sie in einem Artikel ein Warum in ein Weshalb geändert haben. Ich habe mich gefragt, was da wohl der Unterschied ist.«
Anselm konnte sich genau vorstellen, bei welcher Gelegenheit sein Chef dies zufällig mitbekommen hatte. Hinter seinem Rücken musste sich der Reporter, dem der Patzer unterlaufen war, über ihn lustig gemacht haben. Vermutlich hatten sie alle gelacht und gesagt: Der Spinner hat sie doch nicht alle. Selbst jetzt bebte es innerlich noch in Anselm, als er sich an den Artikel erinnerte.
» Mit warum richtet man eine Frage in die Vergangenheit. Wenn ich Sie frage, warum Sie Ihr Auto vollgetankt haben, dann würden Sie antworten: Weil der Tank leer war. Frage ich aber, weshalb Sie Ihr Auto vollgetankt haben, dann richte ich mich mit dieser Frage in die Zukunft. Ihre Antwort müsste lauten: Damit ich nicht stehen bleibe, wenn ich morgen damit zur Arbeit fahre.«
Der Redaktionsleiter schmunzelte. Denn auch wenn er Anselms Eifer nicht teilte, erkannte er doch, dass er mit ihm genau den richtigen Mann auf dem richtigen Posten hatte. Es schien ihm nur fair, auf die Bedürfnisse seines Mitarbeiters einzugehen. Wenn auch eher, um dem Gespräch ein Ende setzen zu können.
» Also gut, ich werde noch mal mit Ihrer Kollegin reden«, versprach er. » Aber seien Sie nicht so streng mit ihr. Der größte Teil unserer Leser stammt aus einer Bildungsschicht, in der man Sprache nicht annähernd mit der chirurgischen Präzision einsetzt, mit der Sie das tun. Ein zu anspruchsvoller Sprachgebrauch könnte im schlimmsten Fall sogar Leser abschrecken. Denken Sie daran: Wir sind ein Käseblatt! Wenn auch das erfolgreichste Käseblatt der Stadt. Trotzdem, ich bin stolz, jemanden mit Ihren Fähigkeiten im Team zu haben.«
Der unscheinbare Anselm erfuhr nicht oft Anerkennung, und so
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