Bis in den Tod hinein
charmanten Zwinkern zur Antwort, » nie!«
16
» Sie hätten dich auch geliebt, wenn du hässlich gewesen wärest«, behauptete Muffin, und in seiner Stimme schwang Aufrichtigkeit mit. » Vielleicht sogar noch mehr. Auf die schönen Menschen sind doch immer alle nur neidisch.«
Tanja van Beutens Organismus war so sehr damit beschäftigt, Wärme zu produzieren, dass sie ununterbrochen zitterte. Dies erhöhte allerdings ihren Energieverbrauch, weswegen sie im Zusammenwirken mit dem Entzug von Wasser und Nahrung mittlerweile in einen Zustand der völligen Verwirrung und wiederkehrender Wahnvorstellungen abgedriftet war.
» Sie haben mich nie geliebt«, hielt sie ihrem Stoffnilpferd entgegen. » Ich habe Wahrheiten ausgesprochen, die keiner hören wollte. Deswegen lassen sie mich hier auch sterben.«
» Was ist denn so schlimm am Sterben?«, warf plötzlich jemand ein, dessen Stimme Tanja vertraut war.
Als sie sich umsah, erkannte sie, dass ihre Großmutter an der reich gedeckten Tafel Platz genommen hatte. Oma Erna, wie Tanja sie immer genannt hatte, war gestorben, als die Kleine sieben Jahre alt gewesen war. Und obwohl Tanja van Beuten noch vier Geschwister hatte, war sie immer Oma Ernas Lieblingsenkelin gewesen.
» In meiner Welt sind wir wieder zusammen. Dann kann ich dir wieder Kuchen backen und Geschichten vorlesen.«
» Aber nicht die gruseligen«, bat sich Tanja aus.
Sie hatte als Kind immer Angst vor den Spukgeschichten gehabt, die Erna ihr erzählt hatte, wenn ihre Enkelin sie in ihrem Bauernhaus in der Nähe von Rathenow besucht hatte.
» Ein bisschen gruselig schon«, wehrte Erna die Bitte ab. » Schließlich ist das hier ja auch alles ziemlich gruselig, oder nicht?«
Tanjas Atmung flachte immer weiter ab, ihre Kräfte schwanden mit jeder Minute. Und kaum dass sie glaubte, einen klaren Gedanken gefasst zu haben, durchkreuzte auch schon wieder etwas vollkommen Irreales diese Hoffnung. Muffin ging jetzt zu Oma Erna hinüber und setzte sich auf deren Schoß. So, wie Tanja es früher oft getan hatte. Dann sagte das Nilpferd: » Warum wehrst du dich denn so gegen dein Schicksal? Alle haben dich geliebt, weil du schön und klug warst. Sie haben dich reich gemacht, dein Leben war eine einzige Erfolgsgeschichte. Du warst auf den Laufstegen der Welt zu Hause, hast die Titelseiten unzähliger Zeitschriften geziert. Sei doch mal ehrlich: Da kannst du dich doch nicht beschweren, nur weil eine einzige Person dich töten will, oder?«
» Oma, mach doch bitte meine Fesseln los! Ich will nach Hause!«, überging Tanja den Einwand ihres Stofftiers.
» Aber Süße, merkst du es denn nicht?«, erwiderte Erna verwundert. » Du bist doch schon fast zu Hause.«
» Warum denn?«
Die alte Dame kraulte Muffin hinter den Ohren, als sie ihrer Enkelin mit liebevoller Stimme erklärte: » Weil du gerade stirbst.«
17
» Genau das habe ich gestern gemeint! Guck dir doch mal diesen gekachelten Couchtisch an«, lästerte Boesherz, nachdem er gemeinsam mit Olivia die Wohnung von Kai Jurek betreten hatte.
Sie mussten sich mit großer Vorsicht bewegen, denn der Erkennungsdienst hatte die Spurensicherung in dem kleinen Apartment gerade erst aufgenommen.
» Der arme Kerl«, überging Olivia die Bemerkung und sah sich in der kargen Wohnung um. » Der hat wohl nicht viel vom Leben gehabt.«
» Also, die Zentrale des organisierten Verbrechens ist das hier jedenfalls nicht«, stimmte Boesherz zu und suchte nach irgendeinem Hinweis auf eine mögliche Motivation für den Mord an Jurek.
Er betrachtete die Bilder, die der Verstorbene ordentlich nebeneinander über seiner Couch an die Wand gehängt hatte.
» Nur Fotos von seinen Töchtern, keins von seiner Exfrau. Und die Bilder sind der Kleidung nach zu urteilen auch schon nicht mehr die neuesten. Die Mädchen hat er wohl lange nicht mehr gesehen. Was ist er denn gefahren, Reisebusse oder öffentliche Verkehrsmittel?«
» Früher Reisebusse, aber seit Kurzem ist er bei der BVG .«
Severin Boesherz hatte die Dienstleistungen der Berliner Verkehrsbetriebe bislang erst einmal in Anspruch genommen. Dennoch hatte er bei dieser Gelegenheit einen nachhaltigen Eindruck gewonnen.
» Das sind doch diese Busfahrer, die einen schon böse angucken, wenn man nur mit einem Fünfeuroschein bezahlt.«
Olivia stützte demonstrativ ihre Hände in die Hüfte.
» Hey, nichts gegen Berliner Busfahrer!«, verteidigte sie ihre Stadt. » Die sind total freundlich– halt nur auf Berlinerisch. Frag bei
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