Bis in den Tod hinein
wenigstens Olivia gesetzt hatte, fuhr Mantwied mit brüchiger Stimme fort: » Es gab damals vier Tote, eine ganze Familie.« Die beiden Kommissare horchten auf. » Das war ein furchtbarer Unfall, ist drei Jahre her. Ein Fahrer eines Reisebusses hat einen Kleinwagen auf der Autobahn rechts überholt und dabei so geschnitten, dass das Auto in die Leitplanke gefahren ist. Es hat sich überschlagen und ist auf die Gegenfahrbahn geraten.«
» War Herr Jurek…«, setzte Olivia an, doch Mantwied winkte sofort ab.
» Nein, er war nur Zeuge. Kai ist hinter seinem Kollegen hergefahren und hat als Einziger alles genau gesehen.«
» Und dann hat er vor Gericht für den Fahrer des Busses ausgesagt und ihn damit vor einer Strafe bewahrt«, warf Boesherz ein. » In den Augen der Öffentlichkeit war die Aussage eine bewusste Lüge.«
» Sie erinnern sich an den Prozess?«, wunderte sich Mantwied.
» Dunkel, jetzt, wo Sie es erzählen«, log Boesherz, um nicht erklären zu müssen, dass er in der abgetrennten Zunge des Opfers ein deutliches Symbol für die Lüge erkannt hatte. » Ist Herr Jurek denn damals wegen seiner Aussage bedroht worden?«
» Nicht direkt, nein. Die Familie war ja tot, und sein Name ist auch nie durch die Medien gegangen. Er war ja nur Zeuge.«
» Außerdem wusste ja auch niemand, ob der Unfallfahrer nicht wirklich unschuldig war. Ich meine, wenn Jurek der einzige Zeuge war?«, gab Olivia zu bedenken.
Mantwied schüttelte den Kopf.
» Eigentlich hat keiner an die Unschuld des Fahrers geglaubt«, erinnerte sie sich. Jurek hatte ihr damals oft von dem Prozess erzählt. » Die Gutachter, der Staatsanwalt– nicht mal das Gericht. Aber Kais Aussage war nicht zu widerlegen.«
» Hat er denn Ihnen gegenüber mal zugegeben, dass er gelogen hat?«
Mantwied zuckte mit den Schultern. Dann stand sie auf und sah durch ihr Fenster auf die Straße hinaus. Es war noch immer dunkel, nur das Licht der Scheinwerfer erhellte den Park, in dem unterdessen immer neue Journalisten und Schaulustige eintrafen. Eine kleine Träne rann an ihrer Wange herab, als sie antwortete: » Ist das denn jetzt noch wichtig?«
18
» Du wolltest doch die Highlights von Berlin kennenlernen«, setzte Olivia an, nachdem sie mit Severin vor dem Hauptgebäude des LKA in Berlin-Tempelhof angekommen war. » Dann fangen wir doch einfach mal direkt gegenüber von unserem Arbeitsplatz an: Bärbels Gourmettempel!«
Der Imbiss auf der gegenüberliegenden Straßenseite war Boesherz natürlich längst aufgefallen. Es wäre ihm jedoch nie in den Sinn gekommen, ihn jemals aufzusuchen.
» Sieht nicht übermäßig verlockend aus«, stellte er mit einem kritischen Blick auf den in die Jahre gekommenen Wagen fest.
» Das täuscht«, wehrte Olivia ab. » Vergiss jetzt mal deinen Quercus und die Rheingauer Spezialitätenküche und komm mit.«
Nur widerwillig ließ sich Boesherz dazu hinreißen, seiner Kollegin auf die andere Straßenseite zu folgen.
Keines der selbstgeschriebenen Schilder an dem Wagen war fehlerfrei, und in einigen Fällen konnte man sich den Sinn der beabsichtigten Aussage sogar nur aus dem Zusammenhang erschließen. Es roch allerdings nach frischem Frittierfett, und auch sonst schien die korpulente Betreiberin auf die Einhaltung der Hygienestandards zu achten.
» Zweemal mit?«, rief Bärbel Olivia in so schrillem Tonfall zu, dass Boesherz zusammenzuckte.
Bärbel kannte fast alle Mitarbeiter des LKA , sie bildeten den größten und wichtigsten Teil ihres Kundenstammes.
» Ja, zweimal mit, einmal scharf, einmal rot-weiß«, antwortete Olivia und lehnte sich, von Severin kritisch beäugt, an einen Stehtisch, der von einem zweckentfremdeten Sonnenschirm vor dem niederrieselnden Schnee geschützt wurde. Dann wandte sie sich wieder ihrem Kollegen zu. » Currywurst um zehn Uhr vormittags. Irgendwas läuft falsch in unserem Leben.«
» Ich kann dir gern noch was von meinem Winzergulasch aufwärmen«, antwortete Boesherz schmunzelnd.
» Oh, das war wirklich gut! Du solltest öfter für mich kochen.«
» Gern, aber lass uns erst mal Jack schnappen, der stört uns ja sonst doch nur dauernd.«
Während Bärbel eifrig dabei war, Wurst in Scheiben zu schneiden und zu würzen, kam Boesherz wieder auf die Ermittlungen zu sprechen. » Also, unsere offensichtlichste Frage lautet: Warum hat Jack den Zeugen ermordet und nicht den Mann, der die Familie auf dem Gewissen hat? Das wäre doch eigentlich logischer gewesen.«
Unmittelbar nach dem
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