Bis in den Tod hinein
weiß auch schon, was als Nächstes kommt!«
Zügig, aber hoch konzentriert flogen Anselms Blicke über die Zeilen.
» Ihr Vater bedeutet Ihnen sehr viel, nicht wahr? Sind Sie sehr eng mit ihm aufgewachsen?«
» Meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt gestorben«, berichtete Anselm, ohne den Blick dabei von seinem Monitor zu wenden. » Dabei war sie fast zwanzig Jahre jünger als mein Vater. Er wusste überhaupt nicht, wie man ein Kind großzieht, aber er hat sich nicht gedrückt, sondern sich der Aufgabe gestellt. Und wie Sie sehen– ich bin ein guter Mensch geworden.«
Bevor Schwester Cecilia etwas darauf erwidern konnte, entfuhr Anselm plötzlich das Wort, nach dem er gesucht hatte.
» Kredenzen! Ich wusste, dass sie es wieder schreiben würden! Hier: Der Gastgeber kredenzt nun die Hauptspeise.«
Cecilia hatte nicht viel Zeit für das Gespräch. Sie musste sich den physiotherapeutischen Übungen zuwenden, die sie täglich mit Paul Drexler durchführte. Doch Anselm ließ nicht davon ab, seinem Ärger Luft zu machen.
» Kredenzen kommt aus dem Lateinischen. Credere – das bedeutet: glauben! Wenn der Mundschenk dem Fürsten ein Getränk eingeschenkt hat, dann hatte er es zunächst vorgekostet. Der Fürst konnte dem Getränk also vertrauen – oder: glauben. Kredenzt wird also zunächst mal keine Speise, sondern ein Getränk. Und das auch nur, falls wir einen Truchsess haben, der seinem Fürsten die Giftprobe abgenommen hat. Unsere Kandidaten kredenzen einander also nicht, sie servieren! Warum wollen sich eigentlich immer nur solche Menschen gewählt ausdrücken, die von dem, was sie reden, absolut keine Ahnung haben? Jeder plappert dem anderen ohne Sinn und Verstand nach, und irgendwann erklärt der Duden es dann für korrekt, weil es ja alle sagen.«
Schwester Cecilia beschloss, ihr Anliegen für den Moment zurückzustellen. Es war offensichtlich, dass Anselm nicht über das heikle Thema sprechen wollte, das ihr so sehr am Herzen lag.
» Ich gehe jetzt wieder zu Ihrem Vater«, verabschiedete sie sich daher. » In einer Stunde muss ich gehen. Sind Sie bis dahin mit Ihrer Arbeit fertig?«
Anselm sah für einen Augenblick von seinem Monitor auf.
» Natürlich. Keine Änderung der Regeln«, antwortete er.
Erst nachdem Schwester Cecilia den Raum verlassen hatte, öffnete er eine Datei, die in einem unauffällig benannten Ordner auf seiner Festplatte abgelegt war. Auf dem Monitor erschien das Foto eines jungen Mannes, unter dem eine Schlagzeile zu lesen war: Er kann es einfach nicht lassen: Intensivtäter schlägt wieder zu!
Nummer drei: Steve Moldenhauer. Arbeitslos, unregelmäßiges Verlassen und Betreten seiner Wohnung. Zuverlässig anwesend: zwischen acht Uhr abends und zehn Uhr mittags. Trifft und empfängt verschiedene Freunde, Besuch kommt oft überraschend und zahlreich. Körperliche Gefahr: jung, kräftig, muss kampflos niedergestreckt werden. Besondere Vorkommnisse während der Beobachtungsphase: Besuch einer Polizeistreife, Besuch von Prostituierten, kam dreimal nachts nicht nach Hause. Zugriff: Muss abends oder nachts in der eigenen Wohnung erfolgen. Opfer ist zuverlässig zu knebeln, Schmerzen sind wirksam zu betäuben, gegebenenfalls unerwartet eintreffende Gäste sind notfalls auszuschalten.
» Ach, Steve«, sprach Anselm dann zu dem jungen Mann auf dem Foto und sah dabei im Internet nach, wie kalt es in der kommenden Nacht werden würde.
Zufrieden mit dem Ergebnis seiner Recherche hauchte er: » Minus acht Grad. Das sollte wohl genügen.«
20
Dennis hätte die Namenslisten am liebsten aus dem Fenster geworfen. Hunderte Zuschauer hatten bei jeder einzelnen Liveshow von Dein Catwalk zugesehen. Ihre Namen abzugleichen war ebenso stupide wie frustrierend. Zudem war bislang noch kein Name mehrfach aufgetaucht.
» Haben Sie auch mal an das Team der Produktionsfirma gedacht?« Die Frage riss Dennis abrupt aus seinen Gedanken. Daniela Castella hatte unbemerkt das Büro ihres Mitarbeiters betreten und ihm zunächst einige Sekunden lang still dabei zugesehen, wie er in seine Arbeit versunken vor dem Stapel Unterlagen gesessen hatte.
» Ich habe mittlerweile schon an jeden gedacht. Aber ohne Tanja van Beuten wird es für die Show vermutlich eine wesentlich geringere Zuschauerquote geben. Und das bedeutet dann auch weniger Geld für die Produktionsfirma.«
Castella hatte ein wenig Mitleid mit Dennis. Die Ermittlung bedeutete ihm offensichtlich viel, schon deswegen, weil er sich zum ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher