Bis in den Tod hinein
in seine Szenarien hineingesteigert. Er hat sich darauf gefreut, seine Pläne endlich umsetzen zu können, möglicherweise sogar schon sehr lange. Vielleicht schon seit seiner Jugend, das würde mich nicht wundern. Die Vorfreude, das Antizipieren, spielt bei solchen Taten eine enorm große Rolle. Seine Fantasien nun endlich in die Realität umzusetzen ist für Jack unglaublich reizvoll. Da sagt es doch viel über ihn aus, wenn er trotzdem bereit ist, seine Pläne auch mal spontan zu ändern.«
Während Olivia weiter von ihrer Currywurst aß, hatte Boesherz seinen Teller noch nicht einmal angerührt.
» Aber wissen Sie, was die eigentlich wichtigste Erkenntnis aus all dem ist?«, fuhr Bartholy fort. » Mit meinen Feststellungen bringe ich Sie kein Stück weiter!«
Boesherz wurde aufmerksam. Die selbstbewusste Bartholy hatte mit ihrer offenen Art sein Interesse geweckt.
» Nicht schlecht«, bemerkte er nüchtern.
» Ich habe doch versprochen, dass ich Ihnen helfen kann«, antwortete die Expertin. » Wo ist er aufgewachsen, wer sind seine Eltern, was ist sein Beruf, was ist seine Störung, welchen Komplex bekämpft er mit seinen Morden, und vor allem: Bei wem schlägt er als Nächstes zu? Würde ich Ihnen mit Antworten darauf weiterhelfen?«
Einen Augenblick lang herrschte absolute Stille an dem Imbisswagen. Es war schließlich Olivia, die zuerst Worte fand.
» Vielleicht sollten wir uns doch mal in Ruhe unterhalten.«
» Und was meinen Sie, Herr Hauptkommissar?«
» Meine Hose vibriert«, gab Boesherz trocken zur Antwort.
Dann griff er unter den verwunderten Blicken der beiden Frauen zu seinem iPhone und öffnete eine Nachricht.
» Sehr gut! Armando aus der Ballistik kann uns was zu Jacks Waffe sagen«, stellte er fest und steckte sein Telefon wieder ein. » Also, Frau Doktor, wir hören uns jetzt erst mal ein paar Fakten an, danach freue ich mich auf Ihre Spekulationen, in Ordnung?«
Alle waren mit dem Vorschlag einverstanden.
» Aber zuvor werde ich mich nun diesem kulinarischen Kleinod der Berliner Feinschmeckerszene widmen. Was für ein Tag: Leiche, Couchtisch, Currywurst. Fragen Sie mich bitte nicht, was das Schlimmste davon war.«
19
Anselm hatte mehr als eine Stunde unter der Dusche verbracht. Zudem hatte er nicht nur sämtliche Kleidungsstücke, mit denen er im Park auf dem Boden gelegen hatte, gewaschen, sondern darüber hinaus die Waschmaschine noch einmal leer durchlaufen lassen, um auch das Gerät vom Schmutz seiner Wäsche zu befreien. Danach hatte er das mit Blut besudelte Messer in ein Bad aus heißem Wasser und Desinfektionslösung gelegt, die Pistole gereinigt und geölt und sein Elektroschockgerät wieder in das dafür vorgesehene Etui gepackt, nachdem er es mehrfach mit speziellen Tüchern desinfiziert hatte. Erst dann hatte er sich zu seinem Vater ans Bett gesetzt und ihm eine der Geschichten vorgelesen, die er als Kind oft selbst von ihm gehört hatte.
Erst am darauf folgenden Morgen war Schwester Cecilia wieder eingetroffen. Sie war die Privatpflegerin, die sich regelmäßig um Anselms Vater kümmerte. Anselm nutzte die Zeiten, in denen sein Vater von Cecilia betreut wurde, dazu, seiner Arbeit für die Redaktion nachzugehen. Bevor er sich aber seinen beruflichen Aufgaben zuwenden konnte, musste er zunächst die Glasplatte seines Schreibtisches mit den beiden Mikrofasertüchern von dem Staub befreien, der sich seit dem vergangenen Abend darauf gebildet hatte. Danach polierte er den Monitor seines Rechners mit einer antistatischen Reinigungsflüssigkeit. Bevor er nun die Texte, die ihm zur Überarbeitung per Mail zugegangen waren, abrufen konnte, streifte er sich noch Stoffhandschuhe über, damit seine Computertastatur nicht mit dem Fett seiner Fingerkuppen in Berührung kommen konnte. Erst dann war sein Geist endlich frei von allen Gedanken an Dreck und Unordnung, sodass er sich schließlich an die Arbeit machen konnte.
Zunächst hatte Anselm diverse Artikel für die kommende Fadenkreuz -Ausgabe zu kontrollieren. Er benötigte jedoch für keinen davon mehr als fünf Minuten. Die Rechtschreibung war aufgrund der automatischen Korrekturprogramme meist nicht zu beanstanden, es waren in erster Linie Fehler der Grammatik oder der sprachlichen Richtigkeit, die Anselms messerscharfem Blick zum Opfer fielen.
» Die Leidenschaft dieser jungen Frau haben nicht viele Teenager.« Was ist das denn für ein Schwachsinn? Die Leidenschaft der jungen Frau hat nur sie allein – es ist ja ihre.
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