Bis in den Tod hinein
um sein Haus herum weitläufig überprüft hatte. An einigen Positionen in der näheren Umgebung hatte man einen guten Blick auf das Anwesen der Drexlers. Diese Punkte waren besonders gut dafür geeignet, dort ein Einsatzkommando zusammenkommen zu lassen, das aus sicherer Entfernung den Zugriff auf das Gebäude koordinieren konnte. Noch schien aber keine Einsatztruppe zu ihm auf dem Weg zu sein. Da Anselms Wagen möglicherweise bereits zur Fahndung ausgeschrieben war, hatte er das Auto seiner Kollegin Sonja genommen und war schließlich damit vor seinem Haus vorgefahren. Keine der geheimen Markierungen an Zaun, Garagentor, Fenstern oder Türen war verändert. Allem Anschein nach war seine Identität wirklich noch nicht enttarnt worden.
» Sie sind spät«, empfing Cecilia ihn, nachdem Anselm schließlich in den Hausflur getreten war.
Als sie bemerkte, dass er schwach aussah und seinen Arm auf unnatürliche Weise gekrümmt hielt, fragte sie besorgt: » Ist etwas passiert?«
» Machen Sie sich keine Sorgen«, wiegelte Drexler ab. » Geht es meinem Vater gut?«
» Ich glaube, er ist heute etwas aufgeregter als sonst.«
» Woran machen Sie das fest?«
Weder kam Schwester Cecilia die Treppe zu Anselm herunter, noch traf dieser Anstalten, zu ihr nach oben zu gehen.
» Ich fühle, dass er sich Sorgen macht. Um Sie.«
Anselm legte seine Polaroidkamera auf die Hutablage über seiner Garderobe und zog dann seinen Mantel aus, in dessen Taschen sich noch immer die Gegenstände befanden, die er zu Sonja mitgenommen hatte. Erst jetzt bemerkte die Krankenpflegerin, dass sein Arm verletzt war.
» Was ist denn passiert?«, fragte sie erschrocken und kam nun doch die Treppe herunter.
Doch als sie Anselms notdürftig verbundene Verletzung in Augenschein nehmen wollte, stieß dieser sie unsanft von sich.
» Gehen Sie jetzt bitte«, forderte er sie auf. » Ich werde gleich Besuch bekommen, und ich habe noch einiges vorzubereiten.«
» Sie sollten aber unbedingt…«
» Ich habe mich geschnitten«, unterbrach Anselm. » Lassen Sie mich jetzt bitte mit meinem Vater allein.«
Nie zuvor hatte Schwester Cecilia den Sohn ihres Patienten in solch einem Zustand gesehen. All seine Beherrschung, seine perfekten Manieren und sein geradezu manisch akkurates Wesen schienen plötzlich vollkommen in den Hintergrund getreten zu sein.
» Ich kann Sie so nicht allein lassen«, setzte sie sich zur Wehr. » Sie können sich doch in diesem Zustand auch gar nicht um Ihren Vater kümmern.«
Kaum dass sie diese Worte gesprochen hatte, wurde Cecilia bewusst, dass sie den vermutlich wundesten Punkt eines Menschen getroffen hatte, den sie normalerweise nicht einmal unfreundlich anzusehen gewagt hätte. Sie befürchtete bereits einen Sturm der Entrüstung, als etwas geschah, mit dem sie nicht gerechnet hätte.
» Sie sind ein guter Mensch«, sagte Anselm, lächelte sie plötzlich freundlich an und griff ihr liebevoll in die Wange, wie man es bei einem Kind machen würde, das besonders brav gewesen war. » Gäbe es nur viel mehr von Ihrer Sorte, unsere Gesellschaft wäre eine bessere.«
» Ich… äh… danke«, kam es der Krankenpflegerin brüchig über die Lippen.
» Sie können sehr stolz auf sich sein. Sie haben in den vergangenen Wochen einen einzigartigen Beitrag geleistet. Einen Beitrag zu einer Veränderung, die wir alle jetzt noch gar nicht abschätzen können. Ich möchte Ihnen danken! Im Namen meines Vaters, in meinem eigenen und im Namen aller rechtschaffenen Menschen.«
Schwester Cecilia war überfordert. Sie wusste nicht, wie sie mit der befremdlichen Situation umgehen sollte. Eine innere Stimme sagte ihr, dass es das Beste sein würde, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen. Andererseits spürte sie aber deutlich, dass etwas mit Anselm nicht stimmte, und sie war unsicher, ob sie ihn unter diesen Umständen mit einem hilflosen alten Mann allein lassen konnte.
» Es ist wie im Märchen«, erklärte Drexler dann. » Am Ende werden die Guten belohnt, und die Bösen bekommen, was sie verdienen. Bitte, gehen Sie jetzt, Schwester.«
Und obwohl sie spürte, dass Unheil heraufzuziehen schien, zog es Schwester Cecilia vor, der Aufforderung zu folgen. Solange sie es noch konnte.
54
Die Luft im Befragungsraum war stickig, eigentlich war sogar die ganze Etage überheizt. Judith Beer saß Jan Bittrich direkt gegenüber, während Castella in der Nähe der Tür stehen geblieben war.
» Haben Sie eine Erklärung dafür, Herr
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