Bis in den Tod hinein
ein Leben retten. Ich sollte Sie also lieber nicht verärgern.«
» Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen diese Verantwortung aufbürde. Aber ich bin mir sicher, dass Sie am besten dafür geeignet sind, mit ihr umzugehen.«
Drexler wartete, bis er Boesherz nahe genug gekommen war, und deutete dann auf den Gang, der zu den Zimmern im hinteren Teil des Erdgeschosses führte.
» Folgen Sie mir bitte.«
Severin folgte Drexler nun einen langen Flur entlang, der an zahlreichen mehr oder weniger morbiden Gemälden der männlichen Vorfahren seines Gastgebers vorbeiführte.
» Sind die Orden von denen?«, fragte er und deutete auf die Bilder der Herren, die fast sämtlich in Uniformen dargestellt waren.
» Meine Familie hat eine lange Militärtradition«, antwortete Drexler, während Boesherz auch die Schwerter und Gewehre betrachtete, die an den Wänden aufgehängt waren.
Als sie schließlich den hintersten Raum erreicht hatten, sagte Anselm: » Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen. Hier, in diesem Raum hat alles begonnen.«
Mit diesen Worten öffnete er die Tür und gab Boesherz damit den Blick in das Zimmer frei, in dem er schon als Kind gelebt und an dem sich seitdem nicht viel verändert hatte. So, wie er es immer tat, speicherte Boesherz jedes Detail des Raumes wie ein Foto in seinem Gedächtnis ab, schneller, als sein Bewusstsein die Informationen verarbeiten konnte. Innerhalb von Sekunden hatte er auf diese Weise auch das Detail im Raum ausgemacht, dem er wohl offenkundig die größte Bedeutung schenken musste.
» So etwas kann einen Menschen durch sein ganzes Leben begleiten, nicht wahr?«, stellte er fest, als sein Blick auf die Tafel über dem Bett fiel.
Als Severin nun auch bewusst registrierte, dass es entgegen Bartholys Theorie auch eine Acht auf der Liste gab, hob er distinguiert seine linke Augenbraue, bevor er einen Luftzug in seinem Nacken spürte und ein unerwarteter Stromschlag ihn schmerzhaft niederstreckte.
56
Mehrere Einsatzfahrzeuge der Schutzpolizei waren bereits vor Sonjas Haus vorgefahren und hatten alle Ausgänge gesichert. Jetzt traf auch Judith Beer mit Linda Bartholy und drei Kollegen der Sonderkommission ein. Bartholy hatte die Befragung von Jan Bittrich in einem Nebenraum mitverfolgt. Zwischenzeitlich hatte die Sonderkommission herausgefunden, dass die Änderung an Bittrichs Bericht tatsächlich erst ab der Fassung vorlag, die von Sonja Wendorff als druckfertig an die Redaktion zurückgesandt worden war.
» Ist schon jemand bei ihr gewesen?«, fragte Beer einen der Kollegen, die das Haus von außen sicherten.
» Wir haben auf euch gewartet«, erhielt sie zur Antwort, bevor sie ihre Pistole zog und vorsichtig an die Haustür herantrat.
Während die Kollegen aus Boesherz’ Team zeitgleich die Fenster sicherten, blieb Linda Bartholy am Einsatzfahrzeug zurück. Mithilfe einer Zeichensprache verständigte sich Beer mit ihren Kollegen und betätigte erst dann die Klingel. Es erfolgte keine Reaktion. Beer klingelte ein weiteres Mal.
» Frau Wendorff, öffnen Sie bitte! Hier ist die Polizei, wir haben ein paar Fragen an Sie.«
Erst nachdem weiterhin keine Reaktion erfolgte, gab Beer ihren Kollegen zu verstehen, dass sie nun gewaltsam in das Haus eindringen sollten. Auf ein vereinbartes Zeichen hin brachen die Polizisten die Fenster auf, stürmten in die Wohnung und öffneten Judith Beer Sekunden darauf die Tür von innen. Schon der erste Blick, der die Kommissarin aus den Augen eines ihrer Kollegen traf, reichte aus, um zu verstehen, was dieser vorgefunden hatte.
Die Wohnung war vollkommen verwüstet, und in ihrem Todeskampf hatte Wendorff sich mit dem Brotmesser gegen ihren Angreifer zur Wehr gesetzt. Sowohl dessen Blut wie auch ihr eigenes war gegen die Wände und auf die Möbel gespritzt, bevor ihr Angreifer die junge Frau schließlich niedergerungen und ihr so lange die Kehle zugedrückt und ihren Kopf dabei auf den Boden geschlagen hatte, bis sie sich schließlich nicht mehr gerührt hatte.
» Das ist also der Grund für die unchronologische Reihenfolge«, stellte Bartholy fest, nachdem auch sie die Wohnung kurz darauf betreten hatte. » Er hat zuerst die Opfer ermordet, zu denen er in keiner Verbindung gestanden hat. Diese Frau hier hat er persönlich gekannt– sie hätte uns also viel zu schnell zu ihm geführt.«
» Wie kommen Sie darauf?«, wollte Beer wissen.
» Wegen der Art, auf die er sie ermordet hat. Das war persönlich, nah, brutal, wütend. Er hat es sogar zu
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