Bis in den Tod hinein
war schließlich wiederum die Dezernatsleiterin, die aussprach, was Beer und Bittrich ebenfalls vermuteten.
» Er will, dass wir ihn finden!«
Und während Judith Beer nur still nickte, fügte Jan Bittrich mit fester Stimme hinzu: » Er– oder sie.«
Die Frauen waren überrascht.
» Ich habe den Artikel zum Lektorat an eine Frau geschickt«, erklärte Bittrich.
Castella sah ihre Mitarbeiterin mit einem Blick an, der mehr besagte, als es Worte in diesem Moment hätten tun können. Judith Beer griff daraufhin sofort zu ihrem Handy, betätigte den Kurzwahlspeicher und sah zu Bittrich hinüber, der insgeheim bereits dabei war, die Schlagzeile für die kommende Ausgabe des Fadenkreuz zu formulieren.
» Ich brauche den Namen und die Adresse.«
55
Dem Allradantrieb von Severins Phaeton machte auch der hoch liegende Schnee in der Nebenstraße nichts aus, in der Anselm wohnte. Boesherz hatte das Fahrwerk hydraulisch angehoben und die komfortabelste Federung eingestellt, sodass er problemlos über die zugeschneite Fahrbahn gleiten und schließlich mit seiner fast schon aristokratisch anmutenden Limousine direkt vor dem Anwesen der Drexlers vorfahren konnte.
Das Haus strahlte nicht nur die Wirkung des klassischen Stils seines Baujahres aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aus, es waren auch keinerlei Stil brechende Elemente wie Gartenzwerge, moderne Briefkästen oder technische Gartengeräte auf dem Grundstück zu sehen. So, wie Boesherz das Haus vorfand, hätte es ebenso gut als Kulisse für einen Film dienen können, der in längst vergangenen Zeiten spielte.
» Also dann«, motivierte sich Severin selbst und schaltete die Soundanlage aus, über die er während seiner Fahrt Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail gehört hatte. » Zeit für den letzten Akt.«
Severin stieg aus seinem Wagen aus, schlug die Tür kräftig genug zu, dass Drexler es hören konnte, und betätigte den Knopf am Türgriff, mit dem er sein Fahrzeug, auch ohne den Schlüssel aus seiner Tasche zu nehmen, verschließen konnte. Ohne ein Geheimnis um seine Anwesenheit zu machen, betrat er das Grundstück und ging auf die imposante Eingangstür zu, vor der gleich zwei Fußabtreter lagen, mit denen man seine Sohlen durch verschiedene, einander ergänzende Techniken reinigen konnte. Als sei er ein angemeldeter Besucher, betätigte er die Klingel. Und das, obwohl er bereits bemerkt hatte, dass die Haustür nur angelehnt war. Danach putzte er seine Schuhe ab und trat vorsichtig, aber ohne weiter darüber nachzudenken, in das Haus ein. Es war hell erleuchtet und behaglich geheizt.
» Ich bin da, Herr Drexler«, rief Boesherz in die Leere des herrschaftlich arrangierten Eingangsbereiches.
» Gut«, erhielt er sogleich zur Antwort, bevor im ersten Stock ein Mann auf die Empore trat, von der aus man in den Hausflur hinuntersehen konnte.
Anselm hatte ausreichend Zeit gehabt, sich auf den Besuch des Kommissars vorzubereiten. Schwester Cecilia hatte das Haus vor über einer Stunde verlassen, sodass Drexler nicht nur Gelegenheit hatte, seine Vorkehrungen zu treffen, sondern auch dazu, seine Schnittwunde am Arm zu versorgen, seine Schmerzen mit einem weiteren Morphiumpflaster seines Vaters zu unterdrücken und sich für den feierlichen Anlass umzuziehen. So trat er Severin nun in seinem besten Anzug entgegen, der zwar etwas in die Jahre gekommen, aber dennoch von zeitloser Eleganz war. Anselm hatte das Kleidungsstück nur wenige Male getragen, es aber dennoch monatlich in die Reinigung gegeben, um es stets von Staub und Gerüchen frei zu halten. Er trug den edlen Dreiteiler nicht nur in Kombination mit weißem Hemd und einer handgebundenen Fliege, er hatte sich zudem auch mehrere Orden an die Brust gesteckt.
» Ihre Kollegen sind noch nicht eingetroffen«, stellte Anselm fest, während Boesherz unaufgefordert seinen Mantel ablegte und dadurch das Schulterholster mit seiner Pistole darin zu erkennen gab.
» Lange werden sie nicht mehr brauchen«, erklärte der Kommissar und deutete dann mit fragendem Blick auf seine Waffe. » Soll ich?«
» Später vielleicht«, antwortete Anselm und machte sich endlich daran, nach unten zu seinem Gast zu gehen.
Er hatte schon die ersten beiden Stufen genommen, als er Boesherz anbot: » Sie können mich jetzt sofort mitnehmen. Ich leiste keinen Widerstand.«
» Das wäre aber nicht klug von mir«, entgegnete der Kommissar, während Anselm die Treppe weiter hinunterging. » Schließlich kann ich ja noch
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