Bis in den Tod
Reeanna mit sanften Fingern eine kühle Creme darauf verstrich, ehe sie nach ihrer Schulter sah. Die plötzliche Schmerzfreiheit wirkte derart einschläfernd auf sie, dass sie die Augen nur mit Mühe wieder aufbekam.
»Er scheint immer ganz genau zu wissen, wie er die Leute packen kann.«
»Den Eindruck habe ich auch.«
»Ich muss in ein paar Stunden zu einer Besprechung«, erklärte Eve mit schwerer Stimme.
»Vorher ruhen Sie sich aus.« Reeanna entfernte die Kompresse von Eves Knie und sah zu ihrer Freude, dass die Schwellung bereits merklich zurückgegangen war. »Ich werde erst noch eine andere Salbe auftragen und dann einen kühlenden Verband um das Knie legen. Trotzdem wird es, wenn Sie lange gehen, sicher noch ein bisschen steif. Deshalb sollten Sie sich in den nächsten Tagen weitestgehend schonen.«
»Weitestgehend schonen. Sicher. Kein Problem.«
»Haben Sie diese Blessuren gestern Abend bei der Verhaftung Ihres Verdächtigen davongetragen?«
»Nein, schon vorher. Er hat mir nicht die geringsten Schwierigkeiten gemacht. Dieser kleine Bastard.« Sie runzelte die Stirn. »Aber ich kann ihn nicht festnageln. Ich kann ihn einfach nicht festnageln.«
»Ich bin sicher, dass Ihnen das früher oder später gelingen wird«, erklärte Reeanna mit beruhigend leiser Stimme, während sie mit der Behandlung fortfuhr. »Sie sind gründlich und entschlossen. Ich habe Sie auf einem der Nachrichtenkanäle gesehen. Oben auf dem Tattier-Gebäude mit Cerise Devane. Um sie zu retten, haben Sie Ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt.«
»Trotzdem hat es nichts genützt.«
»Ja, ich weiß.« Reeanna bestrich die Schürfwunden und blauen Flecken mit einer betäubenden Creme. »Es war einfach entsetzlich. Geradezu schockierend. Für Sie natürlich noch mehr als für uns Zuschauer. Sie haben ihr Gesicht und ihre Augen, als sie sprang, direkt vor sich gesehen.«
»Sie hat gelächelt.«
»Ja, das war selbst am Bildschirm zu erkennen.«
»Sie wollte sterben.«
»Ach ja?«
»Sie sagte, es wäre wunderbar. Der ultimative Kick.«
In der Überzeugung, alles ihr Mögliche getan zu haben, nahm Reeanna ein Handtuch von dem Stapel und breitete es über der Patientin aus. »Es gibt Menschen, die das tatsächlich glauben. Die den Tod als die ultimative Erfahrung ansehen. Egal, welche Fortschritte wir im Bereich der Medizin und Technik auch erzielen, kann doch keiner von uns dem Tod entgehen. Und da wir sowieso am Ende alle sterben, weshalb sollten wir es nicht statt als Hindernis als Ziel sehen?«
»Wir müssen den Tod bis zum allerletzten Augenblick bekämpfen.«
»Nicht jeder hat die Energie oder auch nur den Wunsch zu kämpfen. Manche Menschen scheiden völlig lautlos aus dem Leben.« Sie nahm Eves schlaffe Hand und zählte ihren Pulsschlag. »Manche setzen sich dagegen vehement zur Wehr. Aber am Ende müssen sie doch alle gehen.«
»Jemand hat sie in den Tod geschickt. Dadurch wird es zu einem Mord und zu einem Fall, den zu lösen zu meinen Aufgaben gehört.«
Reeanna schob Eves Arm unter das Handtuch. »Ja, ich nehme an, das stimmt. Und jetzt sollten Sie etwas schlafen. Ich werde Summerset sagen, dass er Sie pünktlich vor Ihrer Besprechung wecken soll.«
»Danke. Vielen Dank.«
»Nichts zu danken.« Sie berührte Eve vorsichtig an der Schulter. »Betrachten Sie es einfach als Dienst zwischen Freundinnen.«
Sie beobachtete ihre Patientin noch eine Minute und sah dann auf ihre diamantbesetzte Uhr. Sie musste sich beeilen, um pünktlich zum Friseur zu kommen, doch hatte sie vorher noch eine winzige Kleinigkeit zu tun.
Sie packte ihren Koffer, ließ eine Tube mit Betäubungscreme auf dem Tisch für Eve zurück und hastete aus dem Raum.
18
E in paar Stunden später stapfte Eve mit angriffslustig gesenktem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, ungeduldig auf dem weichen, hübschen Teppich in Dr. Miras Sprechzimmer hin und her.
»Das verstehe ich nicht. Wie kann es sein, dass das Täterprofil nicht auf ihn passt? Ich habe ihn auf frischer Tat ertappt. Das kleine Arschloch hat mit den Gehirnen anderer gespielt und dabei jede Menge Spaß gehabt.«
»Es geht nicht darum, mein Gutachten an Ihre Wünsche anzupassen, Eve. Es ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit.«
Mira saß ruhig in ihrem bequemen, an ihren Körper angepassten Sessel und nippte vorsichtig an ihrem Tee. Sie brauchte das Getränk, denn die Luft vibrierte regelrecht vor Eves Frustration und Energie.
»Sie haben sein Geständnis und den Beweis dafür, dass er
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