Bis in den Tod
damit mir das gelingt, muss ich Theorien, Lügen und Täuschungsmanöver säuberlich von den Fakten trennen.« Sie drückte sich von der Schreibtischkante ab. »Hören Sie, ich dachte, Sie hätten Interesse an dieser Art der Arbeit.«
»Ich habe sogar großes Interesse daran. Aber ich wüsste einfach gern, womit ich es zu tun habe. Für ein Gutachten brauchte ich ein Hirn-Scanning der Person.«
»Das gehört bereits zu den uns vorliegenden Beweismitteln.«
»Ach, tatsächlich?« Reeannas Augen leuchteten. »Außerdem brauche ich möglichst umfassende Informationen über seine biologischen Eltern. Sie sind hoffentlich bekannt.«
»Wir haben diese Informationen für Dr. Miras Gutachten besorgt. Natürlich werden sie auch Ihnen zur Verfügung gestellt.«
Reeanna lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schwenkte ihren Brandy. »Dann handelt es sich ganz sicher um Mord.« Sie bedachte Eve mit einem Lächeln. »Schließlich ist das Studium des Mordens sozusagen Ihr Metier.«
»So könnte man es vielleicht nennen.«
»Und wie würden Sie es formulieren?«
»Als Studium der Mörder.«
»Ja, ja, aber dazu müssen Sie sich erst mit den Toten und mit dem Tod selbst beschäftigen. Wie er eingetreten ist, was ihn verursacht hat, was in den letzten Minuten zwischen dem Mörder und dem Opfer vorgefallen ist. Was für eine Persönlichkeit muss man haben, um sich routinemäßig und dann noch mit Leidenschaft Tag für Tag, Jahr für Jahr mit dem Tod zu beschäftigen? Macht Ihnen Ihre Arbeit Angst, Eve, oder härtet sie Sie ab?«
»Sie kotzt mich an«, kam die knappe Antwort. »Aber ich habe keine Zeit, um darüber zu philosophieren.«
»Tut mir Leid, das ist eine meiner schlechten Angewohnheiten.« Reeanna seufzte. »William sagt, dass ich ständig alles zu Tode analysieren muss.« Ihr Lächeln kehrte zurück. »Nicht, dass diese Art von Mord ein Verbrechen wäre. Aber ich hätte wirklich großes Interesse daran, Ihnen in diesem Fall zu helfen. Rufen Sie Ihren Vorgesetzten an«, bat sie die Polizistin. »Ich werde warten, um zu sehen, ob er der Sache zustimmt. Wenn ja, können wir die Sache in allen Einzelheiten besprechen.«
»Das ist wirklich nett.« Eve zog erneut ihr Handy aus der Tasche, wandte sich ab und drückte, auch wenn es länger dauerte und ihrem Empfinden nach weniger effektiv war, auf Display. Der Austausch von Informationen wurde durch das blöde Tippen ungemein erschwert. Und wie sollte man seine Gefühle, seine Entschlossenheit zum Ausdruck bringen, wenn einem der Einsatz der Stimme nicht möglich war?
Trotzdem übte sie sich in Geduld und wartete ab, bis Whitneys Antwort kam.
Was zum Teufel wollen Sie durch eine Entkräftung von Miras Gutachten erreichen?
Ich will einfach eine zweite Meinung einholen, Commander. Das ist durchaus legitim. Ich versuche, die Sache aus allen Blickwinkeln zu sehen. Wenn ich den Staatsanwalt schon nicht dazu bewegen kann, Jess wegen Nötigung zum Selbstmord dranzukriegen, will ich zumindest, dass er wegen der anderen Sachen für möglichst lange Zeit in den Knast geht. Ich brauche einen Beweis dafür, dass er mit Vorsatz gehandelt hat.
Sie wusste, sie versuchte einen Durchbruch zu erzwingen. Mit verknotetem Magen wartete sie, während Whitney über die Sache nachdachte.
Geben Sie mir die Möglichkeit, ihn bei den Hammelbeinen zupacken, flehte sie ihre Vorgesetzten lautlos an. Er hat eine Abreibung verdient. Er hat es verdient, für das, was er getan hat, zu bezahlen.
Also gut, lassen Sie ein zweites Gutachten erstellen. Ich will nur hoffen, dass dies keine sinnlose Vergeudung staatlicher Gelder ist. Schließlich wissen wir beide, dass Miras Bericht bei der Anhörung großes Gewicht haben wird.
Das ist mir bewusst. Aber zumindest wird Dr. Otts Gutachten Barrows Anwältin einiges Kopfzerbrechen machen. Zur Stunde gehen wir der Frage nach, welche Verbindungen es zwischen dem Verdächtigen und den Opfern gab. Die Ergebnisse unserer Ermittlungen liegen morgen früh um neun bei Ihnen auf dem Schreibtisch.
Das will ich doch wohl hoffen. Schließlich habe ich soeben meinen Kopf neben den Ihren in die Schlinge gelegt. Gesprächsende. Whitney.
Eve atmete auf. Sie hatte abermals ein wenig Zeit gewonnen, und das war alles, worum es ihr ging. Denn in dieser Zeit könnten ihr Mann und ihr Kollege noch ein wenig tiefer graben. Wenn irgendjemand jemals die gesuchten Informationen fände, dann Feeney oder Roarke.
Andernfalls würde Jess bezahlen, die Morde jedoch blieben weiter
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