Bis in den Tod
dass du für die Sache noch brauchst?«
»Bis ich damit fertig bin. Du kannst dich so lange mit den Informationen über den Virtual-Reality-Player beschäftigen.«
»Darauf komme ich bestimmt noch zurück, aber vorher gehe ich zu Reeanna ins Labor. Wenn sie noch nicht vom Essen zurück ist, kann ich ihr ja einfach schon mal die Akte dalassen.«
»Fein.« Er hielt sie nicht zurück, denn er wusste, sie musste sich bewegen, musste etwas tun. »Kommst du danach wieder hierher in mein Büro oder sehen wir uns später zu Hause?«
»Ich weiß noch nicht.« Er wirkte perfekt, dachte sie, wenn er in seinem schicken Büro saß und die diversen Knöpfe seiner hochmodernen Gerätschaften betätigte. Eventuell wollte jeder die Rolle eines Königs innehaben, aber Roarke war durch und durch damit zufrieden, einfach er selbst zu sein.
Er sah sie fragend an. »Lieutenant?«
»Du bist genau der, der du sein willst. Das ist wirklich gut.«
»Meistens. Genau wie du die bist, die du gerne sein willst.«
»Ebenfalls meistens«, murmelte sie. »Nach meinem Treffen mit Reeanna werde ich mich noch mit Feeney und Peabody besprechen. Wollen wir doch mal sehen, ob sie nicht irgendwas herausgefunden haben. Danke für das Essen – und für die Zeit, die du meinetwegen vor dem Computer verbringst.«
»Du kannst es ja zurückzahlen.« Er nahm ihre Hand und stand geschmeidig auf. »Ich würde heute Abend nämlich sehr, sehr gerne mit dir schlafen.«
»Darum brauchst du mich wohl kaum extra zu bitten.« Sie zuckte verlegen mit den Schultern. »Schließlich sind wir verheiratet und so.«
»Sagen wir einfach, die Bitte wäre Teil der Fantasie.« Er trat ein wenig dichter an sie heran und gab ihr einen federleichten Kuss. »Meine liebe Eve, lass mich dich heute Abend umwerben. Lass mich dich überraschen. Lass mich dich… verführen.« Er legte eine Hand auf ihre Brust und spürte ihren Herzschlag. »Aha«, murmelte er zufrieden. »Offensichtlich ist der Anfang schon gemacht.«
Ihre Knie wurden weich. »Danke. Das ist genau das, was ich brauche, um mich auf meinen Job zu konzentrieren.«
»Zwei Stunden.« Dieses Mal löste er seinen Mund erst nach einer langen Weile von ihren Lippen. »Dann sollten wir uns ein bisschen Zeit für uns nehmen.«
»Ich werde es versuchen.« Solange sie noch gehen konnte, trat sie einen entschlossenen Schritt zurück und eilte Richtung Tür. Dort angekommen, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und sah ihn reglos an. »Zwei Stunden«, sagte sie. »Dann kannst du beenden, was du eben begonnen hast.«
Sie hörte ihn lachen, als sie hinter sich die Tür schloss und durch den Flur in Richtung Fahrstuhl lief. »Zweiunddreißigster Stock, Westflügel«, befahl sie und merkte, dass sie versonnen lächelte.
Ehe ihr Lächeln wieder schwand. Bestand vielleicht darin das Problem? War sie derart auf ihre persönliche Rache konzentriert, dass sie etwas anderes – Größeres oder Kleineres – einfach übersah?
Wenn Mira mit ihrem Persönlichkeitsprofil und Roarke mit seiner Theorie vom Großmaul Recht hatte, war sie auf einer falschen Fährte. Es war an der Zeit, musste sie sich eingestehen, dass sie einen Schritt zurück tat. Dass sie die Sache aus einem anderen Winkel sah.
Moderne Technik hatte zu den Selbstmorden geführt. Im Grunde jedoch hatte nicht die Technik, sondern ein rein menschliches Gefühl wie Habgier, Hass, Eifersucht oder der Wunsch nach Macht die Taten ausgelöst. Welche dieser Emotionen lag den Verbrechen zu Grunde? Jess Barrow war sicher von Habgier und Machthunger beseelt. Aber würde er deshalb so weit gehen und töten?
Sie dachte an seine Reaktion auf die Fotos aus dem Leichenschauhaus. Würde ein Mann, der für die Tode verantwortlich war, der sie verursacht hatte, derart heftig reagieren, wenn er das Ergebnis seiner Taten sah?
Es war nicht vollkommen unmöglich. Aber es passte nicht zu ihrem Bild von der Person, die die Knöpfe gedrückt hatte.
Er hatte es genossen, die Ergebnisse seiner Arbeit zu sehen, erinnerte sie sich. Er hatte sich dazu gratuliert, hatte alle Einzelheiten in seinem Tagebuch notiert. Gab es womöglich noch ein solches Buch, eins, das bei der Spurensuche übersehen worden war? Am besten, sie führe selbst in seine Wohnung und sähe noch mal nach.
Gedankenverloren trat sie in der zweiunddreißigsten Etage aus dem Fahrstuhl und blickte auf die dicken Glaswände der Labors. Hier oben herrschte vollkommene Stille, und der gesamte Bereich wurde von gut sichtbaren Kameras
Weitere Kostenlose Bücher