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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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sich artig, obwohl der Fahrer ja schuld ist. Hätte er nicht noch eine Viertelsekunde warten können?
    Er schlängelt sich durch den langen Bus bis zu einem leeren Platz und holt das Handy wieder raus. Er wählt die Festnetznummer von zu Hause, aber es springt nur der Anrufbeantworter an. Also wählt er ihre Handynummer.
    »Na?«, fragt seine Mutter fröhlich. »Raus aus dem Tunnel?«
    Marvel versteht nicht gleich, was sie meint, ist aber auch egal. Er erzählt seiner Mutter, dass er auf dem Weg zu Bully sei. Bully wohnt immer noch da, wo er schon immer wohnte: zwei Straßen von Marvels früherem Elternhaus entfernt. Bullys Eltern sind noch immer so verheiratet, wie sie es damals waren, und sogar seine Goldfische leben noch. Bully hat eben Glück.
    »Bully und ich wollen Latein üben«, sagt Marvel. Wenn man bedenkt, wie oft Marvel diese Ausrede schon benutzt hat, müsste er in Latein auf einer glatten Eins stehen. »Ist was Besonderes?«, fragt er so muffig, als stecke er bereits tief im Grammatikbuch.
    Seine Mutter will ihm nur sagen, dass sie an diesem Abend später heimkommt. Ein Kollege gibt einen aus. Er heißt DocMike.
    Marvel steckt das Handy wieder ein und leert dafür die andere Jackentasche, die mit dem Geld. Er hat noch einen Zehner, zwei Euro und ein paar Cent, und dabei ist erst Monatsmitte.

    Selbst wenn bei Onkel Herbie das Bier nicht teurer ist als im Supermarkt oder an der Tanke - Marvels Geld reicht vorn und hinten nicht. Seine Mutter findet, 40 Euro sind viel. Er ist eher gegenteiliger Meinung. Mit 40 Euro ist man immer am Limit. Mauki zum Beispiel bekommt 60 Euro und Bully kriegt das Geld nur so reingeschoben. Er hat noch alle Großeltern, zwei Omas und zwei Opas, und die wissen nicht, wohin mit der Kohle.
    Wenn Marvel eine Taschengelderhöhung will, fragt seine Mutter als Erstes, wofür er das viele Geld braucht! Ich kauf dir doch alles, sagt sie dann. Oder: Hast du je einen Liter Milch von deinem Taschengeld gekauft?
    Nee, wieso auch? Seine Mutter besorgt doch immer alles Nötige auf dem Rückweg vom Krankenhaus. Der Supermarkt liegt direkt auf ihrem Weg. Sie weiß auch viel besser, was sie brauchen.
    »Oder ein Paar Socken?«, fragt seine Mutter.
    Socken? Geht’s noch? Er kauft von seinem Taschengeld doch keine Socken! Aber er kauft davon seiner Mutter Blumen zum Geburtstag und zum Valentinstag, obwohl das eigentlich Sache des Liebhabers wäre. Aber da seine Mutter außer ihm niemanden hat, der sie lieb hat, geht eben dafür auch wieder Geld weg. Und das Weihnachtsgeschenk! Er nimmt sich jedes Jahr vor, ihr was Besonderes zu schenken. Denn er findet, dass sie es wirklich verdient hat. Was er machen würde, wenn er seine Mutter nicht hätte, mag er sich gar nicht vorstellen. Deshalb fängt er im Oktober schon an, sich Gedanken zu machen, womit er seine Mutter echt mal überraschen könnte. Er stellt sich die glänzenden Augen unter dem Weihnachtsbaum vor - jawohl, sie haben immer noch jedes Jahr einen Weihnachtsbaum, so viel Sentimentalität muss sein, auch wenn seine Mutter jedes Jahr das heulende Elend kriegt, weil sie sich erinnert, wie schön
alles früher war, als sie noch eine richtige Familie waren. Jedenfalls ist Weihnachten genau der Tag, an dem er seiner Mutter gern ein richtig geiles Geschenk machen möchte. Und deshalb gibt er sich so viel Mühe und verschwendet so viele Gedanken darauf. Leider ist dann plötzlich der 23. und er muss feststellen, dass ihm nichts so Gutes eingefallen ist, wie es seine Mutter verdient hätte. Also spurtet er am Heiligabend morgens, wenn seine Mutter ihn eigentlich bittet, den Baum aufzustellen, eilig los und kauft eine Schachtel Mon Chéri mit weihnachtlicher Plastikschleife und schämt sich.
    Marvel lehnt den Kopf zurück und schließt die Augen. Dieses Jahr wird alles anders, denkt er, dieses Jahr kriegt sie ein richtig geiles Geschenk.
    Er hat sich vorgenommen, jeden Monat ein paar Euro zurückzulegen, für das geile Geschenk, aber bisher war es jedes Mal am Monatsende so eng, dass er es einfach noch nicht hingekriegt hat. Aber, denkt er, als er die Augen wieder aufmacht, ist ja schließlich erst März.
     
    Bully winkt schon von Weitem. Er steht, eine Flasche Bier in der Hand, an der Bushaltestelle. HL wartet freudig wedelnd neben Bully.
    Schön, wenn man so begrüßt wird.
    Bully schwenkt die Flasche und ruft zur Begrüßung: »Bier macht keine Rotweinflecken!«
    Marvel feixt, obwohl Bully diesen Scherz schon gefühlte tausendmal gemacht

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