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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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hat.
    Sie latschen zum Kiosk zurück. Bullys Jeans sind so lang, dass der ausgefranste Saum den Dreck aus den Pfützen mitschleift. Bullys Hosen sind bei schlechtem Wetter unten immer nass, aber es stört ihn nicht. Das muss so sein.
    Onkel Herbie packt gerade für einen Stammkunden kleine
Flaschen Underberg in eine Plastiktüte, die schon bessere Tage gesehen hat. Der ganze Mann hat schon bessere Tage gesehen. Haarbüschel wachsen ihm aus den Ohren und sein Mantelkragen ist durchgeschwitzt. Aber Onkel Herbie stört sich nicht an Äußerlichkeiten. Er schenkt Marvel sein Begrüßungszwinkern, während er weiter mit dem Penner plauscht.
    Marvel hebt den rechten Daumen. Da weiß Onkel Herbie Bescheid. Marvel braucht dringend ein Bier. Schön, wenn man wo ist, wo die Leute einen ohne große Worte verstehen.
    »Und jetzt erzähl«, fordert Bully, als sie sich ans Brückengeländer lehnen. Unten fließt träge die braune Alsterbrühe.
    Marvel überlegt, wie oft sie schon in diese Brühe gespuckt haben, nur um zu sehen, ob das Wasser sich überhaupt bewegt. Es bewegt sich.
    »Also, wie isses beim Film? Echt große Welt und so?«
    Marvel grinst. Bevor er die Flasche ansetzt, rülpst er einmal, um die schlechte Luft aus dem Magen zu kriegen, und meint: »Ich krieg die Rolle sowieso nicht.« Dann lässt er sich das Pils durch die Kehle rinnen.
    »Haben die Schweine dir das etwa gleich gesagt?«
    »Nee, aber mein Gefühl sagt mir das.«
    »Warst du nicht gut?«
    Marvel zuckt mit den Achseln. Woher soll er das wissen? Ob er gut war? Er hält die Bierflasche gegen den Himmel, der wie so oft am Abend plötzlich aufklart. Noch ein paar letzte verheißungsvolle Sonnenstrahlen, aber am Morgen dann wieder die gleiche fiese Regenwolkendecke über der Stadt.
    »Die haben mehr als dreißig Leute eingeladen«, erklärt Marvel. »Jeder von denen hat mehr Chancen als ich.«
    »Und wieso?«
    »Ich bin zu klein«, sagt Marvel.
    »Mann! Wieso denn? Du bist eins achtzig!«

    »Aber die Jule, die …«
    »Wer soll das sein?«
    »Das Mädchen, mit der ich die Szene gespielt hab. Die ist größer als ich.«
    »Echt? Größer als eins achtzig?«
    Marvel nickt. Er ist nicht wirklich sicher, ob sie größer war, aber sie schien ihm so viel größer. So viel strahlender, blonder, göttlicher. Neben ihr kam er sich vor wie geschrumpft. Aber das sagt er Bully nicht. Es gibt Dinge, die er unter Freunden bereden kann, viele Dinge. Aber über Sachen, die das eigene Selbstbewusstsein betreffen, schweigt er lieber. Jedenfalls so lange, bis er auch das irgendwann im Griff hat.
    »Bist du geil auf so was, Alter?«, will Bully wissen.
    Marvel überlegt. Er trinkt sein Bier aus, stellt die Flasche auf das Brückengeländer, holt tief Luft, atmet lange aus.
    »Gute Frage«, sagt er.
    »Ich stell nur gute Fragen«, erwidert Bully. »Also, ja oder nein?«
    Marvel schaut seinen Freund an. Bully hat einen neuen Pickel bekommen, direkt am Kinn. Bully kann einem echt leidtun mit seiner Akne. Er benutzt jetzt abends schon immer eine Reinigungslotion und Gesichtswasser, so wie Mädchen. Wahrscheinlich geht es ihm echt auf den Geist, dass jeden Tag ein anderes Stück seines Gesichts zu blühen beginnt. Marvel sieht, dass Bully mit seinen dreckigen Fingern schon wieder daran rumgedrückt hat. Davon wird es bestimmt nicht besser. Aber er hütet sich davor, einen Kommentar zu Bullys Akne abzugeben. Das Thema ist TA BU. In Großbuchstaben.
    »Klar«, sagt er, »wär echt cool. Schon wegen der Kohle, weißt du? Muss ein geiles Gefühl sein, wenn du einfach nur in die Hosentasche greifst und zwischen den Fingern die Scheine knistern.«

    »Nur ganz neue Geldscheine knistern. Alte Lappen nicht.«
    »Beim Film zahlen sie in neuen Scheinen.«
    Das hat Marvel nur als Witz gemeint, aber Bully nickt bedächtig. »Cool, Mann.«
    »Mathe schon gemacht?« Marvel kommt plötzlich der Gedanke an die Schule.
    Bully nickt. Verzieht aber das Gesicht.
    »Schwer?«
    Bully nickt wieder.
    »Aber du hast es rausgekriegt?«
    »Klar.«
    »Wie lange hast du gebraucht?«
    »Weiß nicht. Stunde oder so.«
    »Kann ich vor der Stunde bei dir abschreiben?«
    »Klar.« Bully nickt. »Weißt du doch.«
    Dafür kann Bully bei ihm Latein, Englisch und Deutsch abschreiben. Ein fairer Deal.
    »Aber ich brauch von dir die Lateinübersetzung«, sagt Bully da auch schon.
    Beide nicken. Marvel hat mit der Übersetzung noch nicht mal angefangen. Sie beugen sich über das Brückengeländer, jeder mit einer leeren

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