Bis ins Koma
breitbeinig auf dem Stuhl sitzt, lässt er seine weiche Körperfülle rechts und links herunterwallen.
Achmed dagegen ist hager und wendig wie ein Frettchen. Wieselflink. Marvel weiß, dass Achmed ein guter Tischtennisspieler ist. In den Pausen reißen sich die Schüler darum, mit ihm zu spielen. Er kriegt Bälle, die sonst keiner kriegt. Er holt sie sich noch mit einem Hechtsprung, wenn sie schon fast den Boden berühren. Marvel hat schon oft neidisch zugeschaut, wenn Achmed seine Künste vorführt.
Zusammen sitzen sie im Besuchsraum im ersten Stock des Altbaus. Hier führen die Lehrer Einzelgespräche mit Schülereltern. Hier wird über Versetzungen und Schulverweis geredet. Aber es ist auch der Raum, den das Anti-Aggressions-Team für Gespräche nutzen darf. Marvel hat einen Schlüssel zu dem Raum.
Kilian und Achmed sitzen so weit wie möglich voneinander entfernt. Kilian hat seine feisten Arme auf die Tischplatte gelegt, Achmed hat seine Arme vor der Brust verschränkt und guckt feindselig. Er wirkt genervt.
Marvel hat schon eine gewisse Übung in diesen Gesprächen. Er soll einen Streit schlichten zwischen zwei Schülern, die ein Problem miteinander haben, sich hassen, die keinen Frieden wollen. Und auch kein Gespräch. Sie hassen solche Friedensgespräche. Also lässt Marvel erst einmal die Stille wirken.
An Stille sind die Schüler nicht gewöhnt. Marvel schweigt, schaut gelassen auf seine Schuhspitzen und wartet. Er weiß, dass dieses Warten die Schüler nervös macht. Irgendeiner wird sich aus der Deckung wagen.
In diesem Fall ist es Achmed, der plötzlich aufjault und
schreit: »Ich kapier nicht, was der Scheiß hier soll! Von wegen Anti-Aggressions-Team. Bin ich aggressiv, oder was?«
»Und wie aggressiv du bist!«, sagt Kilian.
Die beiden würdigen sich keines Blickes. Sie schauen auch Marvel nicht an. Sie blicken stur geradeaus ins Leere.
»Ja, weil so fette Schweine wie du mich aggressiv machen!«
Kilian sieht aus, als wolle er sich wegducken. Sein Doppelkinn zittert, als er flüstert: »Marvel! Siehst du! Er gibt es selbst zu!«
»Ich würde erst mal gern wissen«, sagt Marvel ruhig, »was passiert ist.«
»Nix ist passiert«, sagt Achmed.
»Das nennst du nix?«, schreit Kilian. »Wenn du mir Hundekacke in meine American Sandwich Toasts tust?«
»War nur’n Scherz. Oder besser: Ich wollte bloß testen, wie gierig du bist. Ob du dir anguckst, wo du reinbeißt. Oder ob du nach dem Prinzip Müllschlucker funktionierst.«
Kilian kullert eine Träne aus den Augen.
»Hundekacke?« Marvel verzieht angeekelt das Gesicht. »Ist das euer Ernst?«
Kilian deutet nur stumm in Achmeds Richtung.
Achmed grinst. »Ich sag doch, war ein Scherz. Aber der Typ hat einfach keinen Humor.«
»Der hat mir aus meiner Schultasche meine Tupperdose geklaut«, wimmert Kilian. »Da waren zwei Doppelsandwiches mit Frikadellen drin, die meine Mama extra morgens für mich gebraten hat. Weil das nämlich mein Geburtstag war. Und weil es in der Schule ja niemanden interessiert, ob ich Geburtstag habe oder ob in China ein Sack Reis umfällt. Und dann hat Achmed die schönen Frikadellen gegessen …«
»Mann, bin ich blöd?«, schreit Achmed. »Ich fress doch so was nicht! Schweinefleisch ist Hundefraß …«
»… und dann hat er mir da …« Kilian würgt, sein Kinn zittert, er wischt sich die Tränen aus den Augen. »… da Hundekacke reingetan. Und weil ich aufgeregt war und Hunger hatte, hab ich den zuerst gar nicht gesehen.« Er deutet auf Achmed, der sich auch jetzt ein Grinsen nicht verkneifen kann. »Wie der sich totgelacht hat, als ich da reingebissen hab …«
Marvel starrt Kilian ungläubig an. »Was? Du hast da reingebissen?«
»Ja, Mann!«, schreit Achmed. »Weil er so gierig ist! Ich hab gewettet mit Jonas und Fernando, dass er da einfach reinbeißt! Das war so geil …« Achmed wirft sich zurück und lacht. Und Kilian duckt sich immer tiefer in seinen Stuhl. »Ey, Marvel, willst du mal sehen, wie das aussah? Warte!« Achmed streckt die Beine und fingert ein Handy aus der engen Jeans. Er beginnt zu zappen.
Marvel starrt ihn ungläubig an. »Du hast das auch noch fotografiert?«
»Logo, Mann. So was muss der Nachwelt doch erhalten bleiben! Zur Abschreckung! Dass wir nicht eine Nation von Fettklößen werden. Weil Fettklöße eklig sind. Hier!« Er schiebt das aufgeklappte Handy zu Marvel rüber, aber Marvel fasst es nicht an.
»Lösch das«, sagt er, »aber sofort.«
Ahmed grinst. »Wieso
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