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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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die auch mal kennenlernt. Marvel hat nur abgewinkt. Die hätten alle ihre eigene Party.
    Marvel hätte natürlich Ronja gern eingeladen. Das wär ein echter Scoop. Aber ihm ist klar, dass sie sowieso abgesagt hätte. Aus der Zeitung hat er ja erfahren, dass Ronja mit diesem Vorschlaghammer liiert ist. Einer von diesen Quadratunterkiefer-Waschbrettbauch-Typen, die für Unterwäsche und Rasierwasser Reklame machen und immer mit diesem »Mach-michnicht-an-ich-bin-ein-Macho«-Blick in die Kamera stieren. Eigentlich hätte Marvel Ronja einen intelligenteren Geschmack zugetraut. Aber na ja.
     
    Marvel ist in der Nacht vor der Premiere mehrfach schweißgebadet aufgewacht. Wenn die Leute ihn nun ätzend finden? Oder schlimmer noch, wenn sie ihn superpeinlich finden? Mauki, Jojo, Bully, Onkel Herbie und die gesamte Schule? Oder wenn morgen in der Zeitung steht, dass er eine komplette Fehlbesetzung ist? Dass man sich für diese Rolle einen richtig guten Schauspieler gewünscht hätte? Was dann?
    Die ganze Stadt ist jedenfalls seit Wochen zuplakatiert mit diesem Kussfoto von den beiden Hauptdarstellern Jule und ihrem
Love-Interest Julian. Im Hintergrund als Fotomontage die Hafensilhouette und die Speicherstadt mit Sonnenuntergang. Und darüber, groß: Coole Zeiten .
     
    In der Schule ist es noch kein großes Thema, dass er unter die Schauspieler gegangen ist. Außer seinen Freunden, seinen Lehrern und der Direktion weiß kaum einer davon. Huberti hat ihn darum gebeten, »den Ball flach zu halten«. Er will keine Unruhe in der Klasse, und vor allem will Huberti vermeiden, dass von Marvels Alleingang so eine Art »Initialzündung« ausgeht, die einen »Paradigmenwechsel« auslösen könnte. Huberti spricht gern so abgehoben. Wahrscheinlich erwartet er, dass die Schüler solche Fremdworte bei Wikipedia googeln, um sie dann später stolz selbst verwenden zu können. Marvel hat das tatsächlich getan, insofern ist er ein gelehriger Schüler.
     
    Wenn Marvel mit dem Bus durch Hamburg fährt, sieht er überall diese ProFive-Plakate. Und Jojo, der am Wochenende bei seiner Schwester in Berlin war, erzählt, man habe sogar auf dem Potsdamer Platz, am Sony Center, eine Leuchtreklame installiert.
    »Schade, dass sie dich nicht plakatiert haben«, grinst Jojo, »dann wärest du jetzt berühmter als unser Bundespräsident.«
    »Äh - wie heißt der gleich noch mal?«
    Insgesamt hatte Marvel in der ersten Staffel 22 Drehtage. Biggi hat ihm versprochen, dass die Autoren ihn in der nächsten Staffel nicht rausschreiben werden. Sie hat gesagt, sie glaube an ihn!
    Er bleibt auf jeden Fall drin und Ronja sowieso.
    Es läuft also alles bestens?
    Na ja. Nicht alles.
    In der Schule könnte es besser laufen, das weiß er und das ärgert ihn.

    Gleich die erste Mathearbeit - damals, am Tag nach der Vertragsunterzeichnung - hat er komplett in den Sand gesetzt: eine glatte Sechs. So was hat es in seiner Schulkarriere noch nicht gegeben gehabt. Ein Tiefschlag, von dem er sich nur mühsam erholte.
    Das lag aber am Wodka. Wodka und logisches Denken vertragen sich irgendwie nicht. Und eigentlich waren Bully, Mauki und Jojo schuld, weil sie ihn an diesem Jubeltag allein gelassen haben.
    Wie er in der Nacht nach Haue gekommen ist, weiß er nicht mehr. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen richtigen Blackout. Jetzt weiß er jedenfalls, was in den Krimis gemeint ist, wenn sie von Filmriss oder Blackout sprechen. »Selbst wenn ich jemanden zusammengeschlagen hätte«, hat Marvel zu Jojo gesagt, »wüsste ich das nicht mehr. Muss ich jetzt Angst vor mir haben?«
    Der Morgen nach der Sauferei war die reinste Folter. Wie auf dieser High-Speed-Achterbahn, die sich SPINNING COAS-TER nennt, wo man sich ständig um die eigene Achse dreht. Noch nie hat sich ihm der Mageninhalt so die Speiseröhre wieder hoch und in die Mundhöhle gedrängt wie nach dieser halben Flasche Wodka. Er konnte von Glück sagen, dass ihm die Flasche entglitten und ins Wasser gerollt war. Der Rest hätte ihn sonst komplett ausgeknockt. Er hätte unbedingt im Bett bleiben müssen, es ging ihm saudreckig. Aber das ging zurzeit gar nicht. Wenn seine Mutter was merkte, war’s aus mit der Schauspielerei.
    Wahrscheinlich hatte er beim Aufwachen immer noch mehr Alkohol als Blutkörperchen in den Adern. Mindestens zwei Promille. Wer kann mit zwei Promille und mehr in der Birne wohl eine astreine Mathearbeit schreiben? Wer? Marvel jedenfalls nicht. Er schaffte ganze zwei von zwanzig

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