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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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den Sessel. Seine Mutter holt ein paarmal tief Luft, dann ist ihre Stimme ruhiger und sie kann besser erzählen, was er gesagt hat.
    »Es ging um den Unterhalt«, erklärt sie. »Wenn dein Vater anruft, geht es ja immer ums Geld. Ich hab dir das nie erzählt, weil ich dich damit nicht belasten wollte. Er jammert immer, dass er nicht genug verdient, um zwei Familien zu finanzieren.«
    Seine Mutter trinkt einen Schluck, wischt sich mit dem Handrücken über die Lippen, schaut auf, deutet auf die Flasche. »Willst du auch ein Glas?«, fragt sie.

    Marvel schüttelt den Kopf. »Ich hol mir eine Milch«, sagt er, steht auf, geht in die Küche, reißt die Kühlschranktür auf, als könne die etwas dafür, holt eine Milchtüte raus, knallt die Kühlschranktür wieder zu, geht ins Wohnzimmer zurück und wirft sich mit der Milchtüte wieder in den Sessel.
    »Er will den Unterhalt kürzen. Für uns beide. Er sagt …« Sie stockt, richtet sich auf. »Dein Vater sagt, dass sie wieder schwanger ist.«
    »Karin?«, fragt Marvel.
    »Sie heißt Caren.«
    »Ist mir scheißegal!«, schreit Marvel.
    »Ich weiß, Schatz. Aber schrei mich nicht an.«
    »Tut mir leid.« Marvel lässt sich wieder zurückfallen … Immer wenn sie über seinen Vater reden, nimmt das Gespräch so einen unangenehmen Verlauf.
    »Das erste Mal hat er vor zwei Wochen angerufen«, sagt seine Mutter. »Das hab ich dir nur nicht erzählt.«
    »Und wieso nicht?«
    »Ich wollte dich nicht beunruhigen. Ich dachte, er blufft nur. Da hat er gemeint, er würde in diesem Monat die Zahlung mal aussetzen.«
    »AUSSETZEN???«, brüllt Marvel.
    Seine Mutter nickt. »Schrei mich bitte nicht an.«
    Marvel sackt in sich zusammen. Aber er kocht, als habe er 40 Grad Fieber.
    »Er sagt, er habe jetzt lange genug für uns bezahlt. Ich hab nicht gedacht, dass er es wirklich macht, aber als das Geld am Mittwoch nicht auf dem Konto war und Donnerstag auch nicht und heute nicht … da hab ich ihn angerufen.«
    »DU HAST IHN ANGERUFEN?«
    »Ja, ich wollte wissen, ob er es vielleicht nur vergessen hat.«

    »Wie kann er das vergessen, das ist doch ein Dauerauftrag!«
    »Ja, genau. Er hat es ja auch nicht vergessen. Er hat den Dauerauftrag gekündigt. Ich müsse mit dem Geld, das ich verdiene, auskommen und du bräuchtest jetzt ja kein Kindergeld mehr, weil du als Soapstar wohl mehr verdienst als er.« Seine Mutter schaut ihn an.
    Er hat den Wunsch, diese blöde Milchtüte in seinen Händen zu zerquetschen. Er weiß nicht, wohin mit seiner Wut. Er springt auf, rennt in die Küche, reißt das Fenster auf und schleudert die Tüte in den Hinterhof. Sie zerplatzt an der Mülltonne.
    Er hört, dass seine Mutter aus dem Wohnzimmer nach ihm ruft. Er hat aber keine Lust, darauf zu reagieren. Montag wird er seinen Vater in der Redaktion besuchen.
    Das wird kein fröhlicher Tag für dich, Papa.
     
    Marvels Vater Sven Keller war in seiner Jugend ein Fan von Douglas Adams, der die Kultserie »Per Anhalter durch die Galaxis« geschrieben hat. Ein sehr komischer Science-Fiction-Stoff, in dem ein Marvin vorkommt. Marvin ist der Roboter in dem Raumschiff »Heart of Gold«, das auf der Suche nach dem Sinn des Universums durch die Galaxis saust. Der Robo mit Namen Marvin isst nicht, trinkt nicht, raucht nicht und hat nie Sex. Dafür hat er jede Menge gute Sprüche drauf, sodass der Leser erst sehr spät merkt, wie depressiv Marvin eigentlich ist. Dafür ist Marvin aber intelligent: In dem Buch heißt es: »Marvin ist zehntausendmal intelligenter als eine Matratze.« Na ja. Marvel fand das nie so komisch wie sein Vater, der sich ausschüttete, wenn er seinem Sohn davon erzählte.
    Nach so jemandem wird man benannt? Nach so jemandem wählt ein Vater den Namen seines Sohnes aus? Nach einem depressiven Roboter aus einem Science-Fiction-Roman?? Als die
englische Freundin seiner Mutter mal zu Besuch war und bei seinem Anblick begeistert ausrief »Oh dear, he’s such a marvel!«, wusste er, wie er fortan genannt werden wollte.
     
    Früher hat Marvel seinen Vater, den Lokalreporter und Fotografen Sven Keller, oft in der Redaktion besucht. Es gefiel ihm dort. Die Leute waren lustig und er bekam immer etwas geschenkt. Sein Vater hat ihn ermuntert, sich seinen Arbeitsplatz anzusehen und zu lernen, wie eine Zeitung gemacht wird.
    Er sagte, es sei gut, wenn die Kinder wissen, wie ihre Väter das Geld verdienen. Väter, die morgens aus dem Haus gehen und abends wiederkommen, ohne dass ihre Kinder wissen, wo und wie

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