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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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wieder so ein Tag, an dem ich nach dem Mittagessen genervt im Büro sitze. Mein Handy klingelt. Carsten! Der Ex-Kollege, mein Vorgänger als Leiter der Lokalredaktion, seit zwei Jahren bei BILD . Früher hingen wir viel zusammen, wir hatten in derselben Neubausiedlung Reihenhäuser gekauft, zwei Minuten voneinander entfernt. Nachdem meine Frau mit meinem Sohn ausgezogen war, habe ich in unserem Haus noch anderthalb Jahre mit einem befreundeten Kollegen gewohnt und es danach verkauft. Seit seinem Weggang von der Morgenpost hatte ich Carsten ohnehin schon wenig gesehen, nach meinem Umzug fast gar nicht mehr. Immer wieder nehmen wir uns vor, uns häufiger zu treffen. Immer wieder wird daraus nichts. Auch er steht unter Strom.
    Sein Anruf freut mich.
    Ich: «Na, Hase?!»
    Er: «Na, du. Alles klar?»
    «Na ja, geht so, der übliche Wahnsinn halt.»
    «Ich hab Durst. Bock auf Bier heut Abend?»
    «Unbedingt. Hab keinen Termin. Weiß nur nicht, wann ich durch bin.»
    «Bei mir genauso. Um neun rum?»
    «Ich meld mich, wenn ich Land seh.»
    Um halb zehn sitzen wir in der Ente , der Lieblingseckkneipe in meinem Viertel. Ich erzähle, wie angepisst ich gerade bin. Carsten versteht mich, das tut gut. Er sagt, ihm sei es auch oft so gegangen. Als wir noch zusammengearbeitet haben, kam er mir souverän vor. Nah dran am Chef-Ideal. Er ist Meister darin, Mitarbeiter zu loben und Kritik so zu verpacken, dass sie nicht wie ein Pfeil ins Herz trifft. Dafür schluckt er viel runter. Ganz selten bricht das aus ihm heraus. Ich bewundere ihn für seine Disziplin.
    Carsten bezweifelt, dass meine derzeitigen Arbeitsbedingungen schlimmer denn je seien.
    «Das ist kein Spaziergang. Du könntest den Job zwar so machen, als sei es einer, aber das bist du nicht. Ist doch geil, dass du den Anspruch hast, es super hinzukriegen.»
    Wir trinken Bier und lästern über die unter uns und die über uns. Der Gedanke ans Weglaufen verblasst. Wir gefallen uns gerade ziemlich darin, mit abgestreiftem Sakko und offenem Hemd in der Kneipe zu sitzen und den Tag über bestimmt zu haben, was morgen in Hamburgs Zeitungen steht. Abende wie diesen liebe ich. Das sind Stunden, in denen meine Zweifel wegfliegen. Carsten und ich müssen uns gegenseitig nichts vormachen. Die Offenheit zu sagen, dass der Druck kickt und quält zugleich, habe ich sonst nicht. Wer will schon hören, dass der Chef Probleme hat, der bekommt ja wohl schließlich genug Geld für seinen Job, und Einfluss hat er sowieso. Also mache ich es mit mir aus und versuche, den Eindruck zu erwecken, alles sei in Ordnung und ich stark.
    Weil ich anderen immer weniger traue, rede ich mit kaum jemandem über meine Ängste. Früher saß ich mit den Kollegen in einem Boot. Das ist vorbei. Ich stehe vorn und habe eine Sonderrolle. Wenn ich etwas über die Arbeit sage, ist es etwas anderes, als wenn es jemand aus der Belegschaft tut. Je länger ich in meiner Sonderrolle stecke, desto mehr isoliere ich mich. Oder werde ich isoliert?
    Die schleichende Vereinsamung habe ich erst gar nicht bemerkt. Irgendwann kam die Erkenntnis. Es passierte vor wenigen Wochen, als ich mit Kollegen beim Griechen Bier trank, Gyros in der Kinderportion aß und es mal wieder um jemanden ging, der nicht dabei war. Ich unterhielt mich mit Ilias, dem Wirt, am Tresen und bekam die Lästerei nur fetzenhaft mit. Als ich zurück zum Tisch ging, brach das Gespräch ab.
    «Was ist los?», fragte ich.
    «Das war nicht für dich bestimmt.»
    Richtig. Die Nickeligkeiten, Zickereien, Eifersüchteleien im Team gingen mich nichts mehr an, solange sie der Arbeit nicht schadeten.
    Es ist seltsam. Den ganzen Tag habe ich jede Menge Menschen um mich. Der Job ist kommunikativ, er lebt von Kontakten und Gesprächen. Und doch vereinsame ich. Von den meisten alten Freunden hatte ich mich schon in den Jahren als Reporter zurückgezogen. Ich glaubte, mit ein paar der Kollegen, mit denen ich mich auch privat gut verstand, verbinde mich mehr. Ich glaubte, für Freundschaften außerhalb der Firma fehle mir die Zeit. Mir fehlte nicht die Zeit, ich nahm sie mir nicht mehr. Ich arbeitete wie verrückt, zwölf Stunden am Tag, mindestens. Um zwischen dem einen Arbeitsmarathon und dem nächsten ein bisschen Zeit für mich zu haben, verzichtete ich darauf, nach Feierabend meine besten Freunde zu treffen. Ich meldete mich kaum noch, schlug Einladungen zum Essen oder zu Partys aus. Ich sagte Verabredungen kurzfristig ab. Passiert ist daraufhin erst einmal nichts. Sie

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