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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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nicht viel anders als auf der Straße. Es liegt mir fern, mich im Job zu verstellen. Ich möchte bei der Arbeit kein anderer Mensch sein, als ich es privat bin. Beherrschter vielleicht, förmlicher – sonst hoffe ich, derselbe zu sein. Möglich, sogar wahrscheinlich , dass die Wahrnehmung meiner Mitarbeiter eine andere ist.

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    Flurfunk
    Dezember 2006
    Es ist nachmittags, etwa halb fünf. Die Produktion der Zeitung läuft auf Hochtouren. Der alte Hase aus der Polizeiredaktion ruft an und fragt, ob er mit mir reden könne. Wir treffen uns in meinem Büro, ich schließe die Tür. Er macht ein bedeutungsvolles Gesicht, ich werde unruhig.
    «Es hat sich jemand beschwert über dich. Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, wer.»
    Kann ich.
    «Sie sagt, du seist ungerecht zu ihr gewesen, hättest sie hart kritisiert, dein Tonfall sei heftig gewesen.»
    Der alte Hase fragt mich nicht, ob das stimmt. Es würde so wirken, als sei er mein Chef und nicht umgekehrt. Er möchte nicht den Eindruck erwecken, mich zur Rede zu stellen. Er will mir signalisieren, dass ich aufpassen soll, meinen Kredit nicht zu verspielen. Vermutlich will er mir auch signalisieren, dass er viel mitbekommt – mehr als ich. Das ist okay. Zumindest, wenn er mir die wichtigen Infos gleich steckt.
    Wir kennen uns sehr gut, wir vertrauen uns. Als ich vor sechs Jahren bei der Morgenpost anfing, war der alte Hase in der Polizeiredaktion mein direkter Chef. Von ihm habe ich viel gelernt. Konsequente, hartnäckige Recherche. Kampfgeist im Wettbewerb. Informanten gewinnen. Und das Gespür für Themen, die auf der Straße liegen.
    «Du solltest aufpassen, dass sich da keine Stimmung gegen dich entwickelt», sagt er.
    Mir wird warm. Ich erinnere mich an die Situation mit der Kollegin. Sie hatte eine schwache Phase, und wir hingen der Konkurrenz bei ihren Themen hinterher. Das nervte mich. Ich habe es eine Zeitlang beobachtet und mich im Stillen geärgert. In der Diskussion über die Ausrichtung eines Leitartikels empfand ich sie überheblich. Da habe ich die Nachrichten, die an ihr vorbeigegangen waren, aufgezählt und sie gefragt, wann wir denn mal wieder zum Zug kämen. Sie guckte mich vorwurfsvoll an, setzte an, sich zu erklären. Das wollte ich nicht hören und schnitt ihr das Wort ab. «Lass uns darüber nicht diskutieren. Ich erwarte, dass du dich mehr reinhängst, oder es macht jemand anders.»
    Schon als ich das sagte, merkte ich, wie unsouverän ich mich verhielt. Ich konnte es nicht ändern, der aufgestaute Ärger musste raus. Vor mir selbst rechtfertigte ich meine undiplomatische Art damit, dass die Mitarbeiterin mich provoziert hatte. Soll sie mir doch nicht auch noch so schnippisch kommen, wenn bei ihr schon Ebbe herrscht.
    Als der alte Hase mir von ihrer Beschwerde erzählt, steigt Wut auf. Es fällt mir schwer, Fassung zu wahren. Nicht ich sitze am längeren Hebel, sondern die Belegschaft. Sagt jemand, ich habe ihn unfair behandelt, ist ihm die Solidarität der Kollegen sicher.
    Ein paar Monate vor meiner Ernennung zum Ressortleiter hatte ich heftigen Streit mit einer älteren Kollegin. Sie hatte eine arrogante Art, war in meinen Augen eine routinierte, aber keine gute Journalistin. Wir haben uns in Rage gezankt, und ich habe mich hinreißen lassen, sie übel zu beleidigen – mitten in der Redaktion. Ein paar Kollegen haben sich darüber gefreut, die meisten waren entsetzt, alle trauen mir seit diesem Vorfall neue verbale Aussetzer zu.
    Ich versuche, meine Gefühle in den Griff zu bekommen. Du wolltest Chef sein, jetzt sei es auch! Der alte Hase sitzt mir gegenüber, wechselt seine Cola light -Flasche, die er im Büro überall dabeihat, von der linken in die rechte Hand und guckt mich an. Ich sollte dankbar sein, dass er so offen zu mir ist.
    «Baut sich da eine Anti-Stimmung gegen mich auf, ohne dass ich es mitbekommen habe?», frage ich.
    «Nein», sagt er, «ich denke nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Versuch, nachsichtiger zu sein.»
    Ich erkläre ihm nun doch, warum ich der Kollegin gesagt habe, dass es nicht gut läuft bei ihr und sie sich mehr anstrengen soll. Der alte Hase stimmt mir zu.
    «Du solltest manche Leute trotzdem nicht zu hart kritisieren.»
    Noch Wochen später denke ich an das Gespräch. Keinen kratzt es, was mich umtreibt: dass in der Zeilenkonferenz keine Schlagzeile in Sicht ist, dass die beste Geschichte des Tages abends oft nicht das hält, was sie morgens versprochen hat, dass ich noch mal

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