Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
Das Gefühl, meinen Traumjob gefunden zu haben, ist wieder da.
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Einsam
Januar 2007
Die Zeit rast. Kurz nach Redaktionsschluss fühlt sich der Tag an wie ein Wimpernschlag. Eben noch bin ich ins Büro gekommen, schon saß ich mit den Ressortleitern zusammen, um die Aufmacher für Politik, Wirtschaft, Lokales, Kultur, Ratgeber, Sport und Nachrichten zu planen. Kurz darauf ist es halb sieben, und die Abendausgabe für den Verkauf in Kneipen, an Tankstellen und Bahnhöfen geht in den Druck. Danach noch die Aktualisierungen für die Hauptausgabe, und zwölf Stunden sind rum. Mancher Tag beginnt ruhig. An einem solchen Morgen nehme ich mir den überfälligen Rückruf bei einem Freund oder meinen Eltern vor. Doch daraus wird fast nie was. Denn der Tag entwickelt sich so:
9.15 Uhr: Meine Sekretärin meldet, dass der Nachrichtenchef krank ist. In seinem Ressort sitzen heute nur zwei Volontärinnen. Sie sollen ihren Chef in den Konferenzen vertreten. Azubi vertritt Boss, das gibt’s auch nur bei uns. Die schon vor zwei Tagen verschobene Auflagen-Analyse muss ich ein weiteres Mal verschieben.
10.40 Uhr: Weit und breit kein Thema für Seite 1 in Sicht.
12.10 Uhr: Moderation einer hitzigen Debatte in der Politikredaktion über unsere Position zur Großen Koalition.
14.20 Uhr: Heißhunger. Bringdienst bringt einen Croque mit extra viel Chili-Remoulade. Zehn Minuten später hab ich das Gefühl zu platzen.
14.45 Uhr: Ersatz finden für eine geplante Schlagzeile, weil die Geschichte sich nicht so entwickelt hat, wie die erste Info vor zwei Stunden hoffen ließ, und nun totrecherchiert ist.
15.10 Uhr: Der Croque tanzt in meinem Magen Polka.
15.15 Uhr: Noch immer keine neue Schlagzeile.
16.05 Uhr: Gespräch mit dem Betriebsrat über zwei Beschwerden wegen zu langer Arbeitszeiten in der Lokalredaktion.
16.40 Uhr: Not-Schlagzeile gefunden.
16.45 Uhr: Dritter Absturz des Computersystems heute. Die Technik-Jungs sind dran, machen dabei sorgenvolle Gesichter.
17.00 Uhr: Verhandlung mit einer Agentur über einen Rabatt auf viel zu teuer eingekaufte Promifotos.
17.10 Uhr: System läuft wieder. Die Unterbrechung kostet uns die Einhaltung der Deadline. Geben wir die Seiten zu spät in die Druckerei, drückt das den Verkauf der Abendausgabe, weil die Zeitung die Händler zu spät erreicht.
17.30 Uhr: Neuen Dienstplan fürs Wochenende organisieren wegen Ausfalls eines grippekranken Redakteurs.
17.50 Uhr: Kollegen beruhigen, die sich über die Textqualität zugelieferter Artikel aufregen.
18.50 Uhr: Kündigen eines Redakteurs, der sich als Totalausfall entpuppt hat und das unbedingt noch vor Ablauf seiner Probezeit mitgeteilt bekommen muss.
ab 20.40 Uhr: Suche nach schnellem Ersatz für meinen Stellvertreter und Nachrichtenchef, der entgegen der Info vom Morgen nicht harmlos krank ist, sondern zu Hause beim Handwerken von der Leiter gefallen ist und mindestens sechs Wochen ausfällt.
Gibt’s ein Problem, hat das selten mit Zeitungmachen zu tun. Gefordert ist Organisation, nicht Kreativität. Ich komm mir vor wie ein Krisenmanager. Normal ist nicht die Situation, in der alles seinen Gang geht. Normal ist der Zustand, in dem kaum etwas so kommt, wie es kommen sollte.
Die Herausforderungen zerren mich an die Grenzen meiner Belastbarkeit. Es gibt Tage, an denen habe ich den Eindruck, es passiert prinzipiell nur das Gegenteil dessen, was ich geplant hatte. Als ich vor sechs Monaten den Job antrat, habe ich mich solchen Tagen ohne viel Nachdenken gestellt. Das versuche ich jetzt noch immer, aber es fällt mir nicht mehr so leicht, und erstmals schießen mir Fluchtgedanken durch den Kopf.
Abends, morgens und in den Momenten zwischen zwei neuen Problemen geht es rund in meinem Hirn: Es kann doch nicht sein, dass sich alles gegen mich richtet. Was mache ich verkehrt? Müssen denn immer alle am selben Tag durchdrehen? Machen die das extra? Probleme, Probleme, Probleme – ich wollte den Job haben, um eine gute Zeitung zu machen, und nicht, um den Notstand zu verwalten. Warum soll ich eigentlich immer Rücksicht auf andere nehmen, wenn denen offenbar scheißegal ist, wie’s mir geht? Wenn das so weitergeht, hab ich bald keinen Bock mehr. Der Personaletat ist ohnehin eine Unverschämtheit. Keiner meiner Vorgänger musste mit so wenigen Leuten auskommen wie ich. Bin ich denn der Arsch hier, der doof genug war, sich auf einen Job einzulassen, dem der Spaßfaktor entzogen wurde?
Heute ist mal
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