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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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nicht weiter. Ich weiß nicht weiter. Aber das darf ich nicht sagen. Oder?

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    Hamburg vs. Berlin
    Februar 2007
    Es ist kurz nach zweiundzwanzig Uhr. Ich sitze seit dreizehn Stunden im Büro. Der Tag war heftig. Morgens war Claudia Roth von den Grünen zu Besuch in der Redaktion, wir haben deshalb viel zu spät konferiert und sind unter Zeitdruck geraten. Bis zum Nachmittag war keine Schlagzeile in Sicht. Zwei Layouter haben sich krankgemeldet. Notbesetzung. Dann große Aufregung um die Seiten aus Berlin. Titten, Blut, eine absurde Sex-Story über einen alternden Schlagerstar.
    «Das ist nicht unser Niveau, das ist Leserverarschung», hat eine Kollegin geschimpft.
    Ich habe die Geschichten gelesen und Hitzewallungen bekommen.
    «Das ist wirklich dünn, aber wir können uns nicht jeden Tag beschweren», sagte ich.
    «Warum nicht? Wenn die Mist liefern, dürfen wir uns das nicht gefallen lassen.»
    Sie hatte recht, aber die Berliner machen die Geschichten aus ihrer Sicht, und mit der fahren sie bei sich gut. Der Kurier ist im Osten erfolgreich. Woher sollen sie wissen, dass unsere Leser andere Themen erwarten?
    «Solange nicht reihenweise Beschwerden bei uns auflaufen, müssen wir aufpassen, dass die Situation nicht eskaliert – das nützt keinem», habe ich gesagt.
    Gedacht habe ich: Scheiße, da soll zusammenwachsen, was nicht zusammenpasst. Aber wir müssen das trotzdem versuchen, davon muss ich alle überzeugen – oder der Laden fliegt mir um die Ohren.
    Ich komme mir wie ein Politiker vor, der den Wählern Müll verzapft, um seinen Arsch zu retten.
    Jetzt ist Ruhe. Die Zeitung druckt, in der Redaktion sitzt nur noch der Spätdienst. Alle anderen sind nach Haus gegangen, die Monitore sind dunkel. Ich sitze in meinem Glaskasten und überlege mir Themen für zwei neue Serien, danach bereite ich ein Meeting mit einem Kooperationspartner für den nächsten Tag vor. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, meine Gedanken machen Budenzauber wie nach einem runtergestürzten Bier plus Schnaps auf nüchternen Magen. In mir drin: totale Müdigkeit, Erschöpfung und Nervosität zugleich. Dieser irre Berg an Aufgaben!

    OhGott.
    OHGOTT.
    O H G O T T!!!

    Was mache ich hier eigentlich? Der vierte Abend in Folge, den ich im Büro abhänge. Mit meiner Freundin, mit der die Beziehung weiter auf und ab geht, war ich schon seit Wochen nicht mehr in Ruhe essen, im Kino oder habe mit ihr entspannt Zeit bei mir zu Hause verbracht. Meinen Sohn sehe ich nur noch am Wochenende, der eine Abend unter der Woche ist inzwischen ganz weggefallen. Mein Wochenende beschränkt sich auf Samstag. Sonntag ist für Zeitungsleute Arbeitstag, um die Ausgabe für Montag zu produzieren. Seit wir vor drei Monaten eine Sonntagsausgabe der Morgenpost auf den Markt gebracht haben, ist nun auch der letzte bislang freie Tag ein Arbeitstag. Also nehme ich Samy mit in die Redaktion. Er guckt im Sportressort Bundesliga-Konferenz, und ich mache Zeitung.
    Ich hatte mir fest vorgenommen, ihn heute anzurufen. Beim Aufstehen habe ich noch dran gedacht, beim Mittagessen, nachmittags in der Zeilenkonferenz. Dann: Stress, Hektik, Zeitrasen. Jetzt, am Ende des Tages, fällt’s mir wieder ein – jetzt schläft er. Der Gedanke macht mich traurig. Ich schlucke.
    Mein Sohn: vor lauter Arbeit von mir vergessen.
    «Papa, das hatte ich mir schon gedacht», hat Samy mal zu mir gesagt, als ich mich nach einer ähnlichen Situation bei ihm mit dem Hinweis, ich habe viel Stress gehabt, entschuldigt hatte.
    Das geht so nicht. Was bin ich eigentlich für ein Vater? Was passiert hier mit mir? Ich sehne mich nach Entspannung, der Druck soll nachlassen. Ich will die Verantwortung und will sie nicht . Ganz schönes Chaos.
    Ich spüre ein Stechen im Rücken.
    Vor ungefähr einem Jahr tauchte es zum ersten Mal auf. Die Schmerzen sind heftiger geworden, schränken meine Beweglichkeit ein. Ich habe mich neulich in die Röhre schieben lassen. MRT-Diagnose: In meinen unteren Lendenwirbeln lagert kaum noch Flüssigkeit ein. Unterstützt durch die verspannte Position, in der ich täglich stundenlang am Rechner sitze, verursache das die Schmerzen, weil Schmiere fehle, sagte der Arzt. Die Schmerzen waren schon so heftig, dass ich nicht mehr sitzen konnte. Der Schmerz hat sich links knapp über dem Steißbein eingerichtet. Er strahlt ins linke Bein, an manchen Tagen bis knapp über den Knöchel. Mein Rücken fühlt sich dann so an, als würde er bei der nächsten Bewegung

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