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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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Unmoralisches zu tun. Mal alle Anspannung, die ganze Last auf den Mond zu schießen. Immer nur leisten, allzeit funktionieren, ist spießig. Ich hasse das, weil es so nach Anpassung klingt. Ich passe mich an, obwohl ich den Widerstand liebe, den Bruch, das Unkonventionelle. Früher, vor allem in der Schule, war ich unkonventionell. Früher gehörte ich aber auch nicht zu den Erfolgreichsten. Ich habe vieles so gemacht, wie es mir richtig erschien, fast nie habe ich mich zu etwas gezwungen. Ich war bei den Grünen, hatte rote Rastazöpfe und ging Konflikten mit der Obrigkeit nicht aus dem Weg. Gegen den Strich zu bürsten, fand ich cooler und richtiger, als mit dem Strom zu schwimmen.
    Jetzt mache ich manchmal Sachen, die ich früher verteufelt habe. Ich gehe in teure Restaurants, ich wähle eine Volkspartei, beim FC St. Pauli stehe ich nicht mehr bei den normalen Fans, sondern sitze bei den VIPs auf den Business-Seats. Ich bin jetzt Teil der «besseren Gesellschaft». Um viele der Menschen, die ich treffe, hätte ich zu Jugendzeiten einen großen Bogen gemacht. Gerade um die, die ihr Fähnchen in den Wind halten und allein danach ihr Handeln ausrichten. Davon gibt’s viele, wenn’s darum geht, Macht zu verteilen. Es sind fast immer Männer. Manchmal finde ich mich in einem ganzen Rudel solcher Typen wieder. Sie sind unehrlich, heuchlerisch, substanzlos. Sie sind süchtig nach dem Licht der Öffentlichkeit und merken nicht, wie offensichtlich sie sich für ein bisschen Aufmerksamkeit verbiegen. Ich erschrecke mich über meinen distanzlosen Umgang mit ihnen. Bin ich auch schon so wie sie?
    In Momenten, in denen mich das Parkett der Eitelkeiten anwidert und mir der ganze Job-Druck über den Kopf wächst, ist der Wunsch nach Ausbruch am größten. Ich träume vom Gegenteil disziplinierten Fleißes, festgelegter Strukturen und einzuhaltender Fristen. Ich träume von endlosen Partys, Gelagen, Orgien. Es geht hoch her. Ich fühle mich omnipotent. Ich bin eine männliche Nymphomanin, die rumhurt, was das Zeug hält. Tatsächlich ist mein Liebesleben nur selten wild – nicht erst seit ich wieder Single bin. Ich bin zu erschöpft.
    Während der Arbeit denke ich laufend an Sex. Wenn ich ihn habe, sehne ich mich nach Entspannung. Keine Anstrengung, nicht auch noch im Bett. Lieber Verwöhnprogramm. Und dann packt mich die Müdigkeit. Die Frauen, mit denen ich mich in kurze Affären stürze, verstehen mich nicht. Was ich überhaupt wolle. Warum ich’s aufs Bett anlege, um dann den Schwanz einzuziehen. Das sei doch nicht normal. Ich hätte einen Knall. Stimmt alles. Ich ändere: nichts.
    Manchmal kaufe ich mir Sex. Ich mag den Kitzel des Verruchten. Und es ist so schön unkompliziert. Affären enden meist in der Sackgasse, weil sich einer von beiden in den anderen verguckt. Solange das nicht passiert, ist alles locker. Passiert es, geht alle Lockerheit verloren. Gekaufte Liebe ist verlässlich unkompliziert. Von vielen Freunden und Kollegen weiß ich, dass sie das ähnlich sehen; mit einigen war ich schon gemeinsam unterwegs, mit meinem Kumpel Tim, selbst Journalist, sogar öfter. Ein Ausflug ins Rotlicht beginnt meist tagsüber mit einer SMS, die mich in der Redaktion zwischen Personalgespräch und Schlagzeilen-Konferenz erreicht.
    «Wie wär’s heut mit Amore?»
    «Wenn nicht heut, wann dann?!»
    «Zehn?»
    «Jup.»
    Wir treffen uns nach Feierabend, gehen was trinken, planen das Ziel. Dort läuft immer das gleiche Programm: Wir setzen uns an die Bar, bestellen zwei Bier für zwanzig Euro, gucken zu den Damen am anderen Ende des Tresens. Nach drei Minuten schlendern zwei von ihnen zu uns rüber. Die eine kümmert sich um Tim, die andere um mich. Nach zehn Minuten Smalltalk kommen wir ins Geschäft. Zweihundert für jeden, dafür kriegen wir eine Stunde Spaß. Gemeinsam gehen wir aufs Zimmer, meist eins mit Whirlpool. Die Konstellation der Damen ist fast immer die gleiche: Die eine geht ran, die andere ziert sich. Meist erwische ich die Zickige. Es entwickelt sich ein Spiel, das manchmal antörnt, manchmal nervt. Wird mir das Spiel zu anstrengend, rede ich mit der Dame über ihren Job. Bei diesen Gelegenheiten erfahre ich einiges über die Aufteilung des Markts, Verdienstmöglichkeiten, die umsatzstärksten Etablissements der Stadt und die Vorlieben der verschiedenen Freier-Typen. Damit schmückte ich manchen Artikel im Blatt aus. Ging ich also mal nicht befriedigt nach Hause, so doch immerhin informiert.
    Die Rotlichtszene

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