Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
sind spitze. Die Auflage steigt, das gelingt derzeit kaum einem anderen Blatt in Deutschland. Ich möchte einen Honorartopf zur Belohnung besonderer Leistungen von Mitarbeitern beantragen und mindestens eine Planstelle mehr besetzen dürfen. Mit einem gestandenen Redakteur, den ich mir suchen und der auch ein bisschen mehr kosten darf. Immer wieder müssen wir unsere besten Leute nach einer Weile ziehen lassen. Wie ein Bundesligaverein, der in der zweiten Tabellenhälfte spielt und jungen Talenten als Sprungbrett zu den Topclubs wie Bayern und Dortmund dient. Mehr Punkte als erwartet hat meine Mannschaft für unseren Club erkämpft, wir sind als Underdog in die obere Tabellenhälfte geschossen, dafür darf die Vereinsführung jetzt auch mal was zurückgeben.
In den Verhandlungen zeigt sich schnell, dass ich mein Ziel nicht erreichen werde. Ich überdenke meine Pläne und überlege, mich zähneknirschend mit einer Nullrunde zu arrangieren. Keine weiteren Kürzungen, keine weiteren Zugeständnisse. Noch ist ohnehin alles hypothetisch. Der Geschäftsführer hat noch keine Farbe bekannt, er hat lediglich durchblicken lassen, dass meine Vorstellungen mit denen des Investors nicht zu vereinbaren seien. Okay, verstanden. Welche Erwartungen der Investor hat, ist aber noch unausgesprochen.
«Klar ist, wir sollten ehrgeizig ins nächste Jahr gehen», setzt der Geschäftsführer in bestem Manager-Deutsch an.
«Ehrgeizig sind wir», antworte ich ein bisschen zu angefasst.
«Ja, das weiß ich. Dieses Jahr ist ein guter Auftakt zu einer Reihe guter Jahre.»
Meine Temperatur steigt.
«Dieses Jahr ist gut ? Ich finde, es ist sehr, sehr gut gelaufen. Mehr geht definitiv nicht. Mehr Rendite würde ohne brutale Kürzungen nicht gehen. Mehr kann ich meinem Team nicht vermitteln.»
«Das ist am Ende doch immer eine Frage der Formulierung», versucht der Geschäftsführer zu beschwichtigen.
Meine Temperatur steigt weiter.
«Wenn ich kürzen soll, muss ich das meinem Team sagen. Ich werde die Redaktion nicht belügen.»
«Sie sollen auch nicht lügen. Sie sollen um Verständnis werben für unsere ehrgeizigen Pläne.»
Meine Temperatur erreicht den Siedepunkt.
«Noch mal: Weitere Einsparungen zugunsten von noch mehr Rendite kriege ich nicht vermittelt. Ich halte das auch für unseriös.»
Oha, war das einer zu viel?
«Das ist bedauerlich. Denken Sie da noch mal drüber nach.»
Wir unterbrechen die Verhandlung. In der folgenden Nacht schlafe ich nicht ein. Ich liege im Bett und denke nach. Soll ich es tun? Ich halte das nicht mehr aus. Kann ich es tun? Denk an dich, das Team wird es vielleicht nicht verstehen, aber davon darf deine Entscheidung nicht abhängen. Was verliere ich? Alles. Was kommt dann? Erst mal nichts, außer Befreiung. Wird es woanders besser? Zumindest nicht schlimmer. Ich muss es tun.
Sehr früh am nächsten Morgen setze ich mich an mein Notebook und tippe meine Kündigung.
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Eskalation
7. November 2007
Noch nie hat mich die Arbeit so aufgewühlt. Ich bin so wütend, so kantig in meinen Bewegungen, dass ich mich im Bad und beim Anziehen ständig irgendwo stoße. Ich bin maßlos enttäuscht. Der Tritt gegen die weiße Wand im Flur schmerzt noch mittags im Fuß. Noch nie habe ich mich derart ohnmächtig gefühlt. Wie ein zahnloser Tiger komme ich mir vor. Man hat mir Macht gegeben, die keine ist. Der Abbruch der Verhandlungen war das Signal, dass es für mich keine Zukunft bei der Morgenpost geben kann. Ich hatte mir ein klares Ziel gesetzt und werde es weit verfehlen.
Als ich in die Redaktion fahre, stelle ich mir vor, es das letzte Mal zu tun. Mir wird schummrig. In den Mittagsstunden bestätigt sich meine Ahnung.
High Noon im Büro des Geschäftsführers. Mit dabei: meine beiden Stellvertreter, unser Lokalchef und der neue Controller (ein kleiner, zahlengenialer Inder, unglaublich gepflegt, astrein gekleidet und sehr höflich). Die Stimmung: gereizt und angespannt. Wir gehen die einzelnen Positionen des Redaktionsetats durch, nehmen uns die Liste kalkulierter Kostensteigerungen vor. Da steht es. Das Budget für meinen Dienstwagen, auf den ich wegen der angespannten Lage bislang verzichtet hatte. Ich bekomme deshalb eine kleine Entschädigung, die im Etat keine Rolle spielt. Dieser Deal war Teil meiner Vertragsverhandlung vor anderthalb Jahren. Wir haben vereinbart, dass wir über den Wagen sprechen, wenn die Lage sich entspannen sollte. Das Auto ist Teil meines Gehalts, die
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