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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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unmoralisch, findet der Behördensprecher.
    Die Kritik geht erst an den Reporter, der das aktuelle Foto gemacht und den Text geschrieben hat. Er leitet die Beschwerde an mich weiter. Ich telefoniere mit dem Behördensprecher. Ich stelle mich vor den Reporter, verteidige die Fotomontage. «Was bitte ist daran unmoralisch? Es ist niemand gestorben, die Montage war als solche klar zu erkennen. Ihr Senator hat sich über seine eigene Anordnung hinweggesetzt, und wir haben ihn dabei erwischt. Dass Sie das ärgert, kann ich gut verstehen», sage ich.
    Es ist ein typischer Tag, an dem mir das Adrenalin morgens Glücksgefühle beschert, weil wir eine hervorragende Geschichte haben. Wenig später jagt es mir durch den Körper, weil ich mich so aufrege über die Beschwerde. Mich nervt der Stress mit der Behörde, jetzt werden sie uns ein paar Tage mit Nichtachtung strafen. Vielleicht stecken sie der Konkurrenz ein gutes Thema, um uns eins auszuwischen. So ist das immer, wenn wir in ihren Augen zu kritisch berichten.
    Wie verhalte ich mich in so einer Situation richtig? Mich in den Staub schmeißen, «Mea culpa» rufen? Oder hart bleiben, nicht nachgeben? Was wirkt souveräner? Ich bleibe dabei: Die Kritik ist albern.
    Polizei und Innenbehörde schneiden uns eine Woche lang, und ich frage mich, ob ich nicht doch besser Einsicht gezeigt und mich entschuldigt hätte. Meiner Redaktion hätte es ein paar nervige Tage erspart.
    Ich sollte in Zukunft strategischer agieren.

[zur Inhaltsübersicht]
    Durchgemacht
    August 2007
    Nie stand ich so unter Druck wie in den vergangenen Monaten. Nein, falsch. Noch nie stand ich so lange unter Druck. Und es hört gar nicht mehr auf. Das Megadruck-Gefühl packt mich fast jeden Tag. Der Druck kommt von allen Seiten und vor allem aus mir selbst. Meine Freundin hat mich vor wenigen Wochen verlassen. Ich habe sie verletzt, und sie hat die Konsequenzen gezogen. Die Trennung hatte sich angekündigt, ich hatte der Liebe zwischen uns immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt, hatte mich unserem Miteinander mehr und mehr entzogen. Als sie mich verließ, war ich dennoch wie vor den Kopf gestoßen. Privat fühlte ich mich bankrott. Ich bin nicht mehr beziehungsfähig! Selbst rücksichtsvolle Ansprüche einer Frau kann oder will ich nicht mehr erfüllen. Weil sich alles um meinen Job dreht, dort will ich allen Erwartungen gerecht werden, nur das zählt noch für mich. Ich will: Allen in der Redaktion das Gefühl vermitteln, für sie da zu sein, ihnen zuzuhören, sie einzubinden, sie wertzuschätzen, sie zu fordern, aber nicht zu überfordern, mich für ihr Weiterkommen einzusetzen oder zumindest – wenn sie selbst wissen, nicht mehr zu den Produktivsten zu gehören – sie in Gesprächen über Altersteilzeit oder Abfindung fair zu behandeln. Ich will aber auch die beste Zeitung machen, die möglich ist. Durchhänger, Halbherzigkeiten und Ausfälle machen mich wahnsinnig. Ich will Verständnis für Schwäche haben, habe es aber nicht. Ich will nachsichtig sein, bin es aber nicht. Auch nicht mit mir.
    Eigentlich möchte ich es gar nicht allen recht machen. Wer’s mir nicht recht macht, der kann mich mal. Oder? Ich bin zu ungeübt, zu unsouverän, zu bedürftig nach Zuspruch, als dass ich in der Lage wäre, aufs Streben nach einem allseits guten Eindruck zu pfeifen.
    Mir unterlaufen Fehler bei der Entscheidung über die Gewichtung von Themen, der Formulierung von Schlagzeilen, ich bin oft nicht konsequent beim Einfordern von Leistung. Meist entscheidet meine Laune über die Tonalität. Vor allem meine Ungeduld. Abzuwarten, bis sich eine Diskussion so entwickelt, wie ich es mir vorstelle, halte ich kaum noch aus. Es passiert immer öfter, dass ich ein Thema gar nicht mehr zur Debatte stelle, sondern von vornherein allein entscheide.
    Der Druck kommt aber auch aus der Geschäftsführung und aus der Chefredaktion des Berliner Kurier , mit der wir uns zunehmend mehr abstimmen müssen, weil die beiden Zeitungen sich gegenseitig mit Artikeln und ganzen Seiten beliefern. Das sind die von den Verlagsmanagern verlangten Synergien, die eigentlich Personal einsparen sollen, es aber in der Praxis bislang nicht tun.
    Je länger der Druck, die Disziplin und der volle Einsatz anhalten, desto größer wird mein Bedürfnis nach einem Gegenpol. In Momenten, in denen ich das Gefühl habe, die ganze Welt habe sich verschworen, um mir das Leben extraschwer zu machen, verspüre ich die Lust, auszubrechen. Etwas Anrüchiges,

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