Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
Zeitung wirft Millionen ab. Sind die Stellenkürzungen durch, bin ich nicht länger bereit zu verzichten. Die Überlegungen gehen niemanden außer mich und den Geschäftsführer etwas an und gehören nicht in diese Runde. Schon gar nicht als Mehrkosten, die derzeit rein spekulativ sind. Auf meine Stellvertreter und jeden, der sich den Etatplan ansieht, muss es so wirken, als verursache mein Dienstwagen Mehrausgaben, die an anderer Stelle eingespart werden müssten.
Im ersten Moment glaube ich an ein Versehen.
«Was soll das? Genauso gut können wir hier über die Höhe unserer Gehälter diskutieren, gern auch über die der Verlagsleitung.»
Der Geschäftsführer guckt irritiert zum Controller.
«Wir wollten doch alle Themen zeigen, die Mehrkosten verursachen», entschuldigt sich das adrette Zahlengenie. Rechnen kann er wie ein Weltmeister, in Taktik und Diplomatie ist er eine Null.
In diesem Moment erlischt mein letztes Flackerlicht für diesen Laden. Ich kann kaum atmen. Wenn ich jetzt etwas sage, wird meine Stimme beben. Ich suche nach Worten.
Fünf Minuten später werde ich kaum mehr erinnern, was ich jetzt formuliere. In etwa das: «Das ist eine Unverschämtheit. Ich will eine einzige Planstelle mehr und muss sie mir abschminken, weil ich selbst angeblich zu hohe Kosten erzeuge. Das ist mein Ende als Redaktionsleiter.»
Ich stehe auf, gehe in mein Büro, rauche eine Zigarette. Ich zittere, spüre Wuttränen. Weil ich Kontaktlinsen trage, kann ich sie mir nicht aus den Augen wischen. Nach der Zigarette setze ich mich an meinen Rechner und schreibe die Kündigung neu. Heute Morgen an meinem Notebook habe ich das in vier Varianten getan. Alle erscheinen sie mir zu lang. Jetzt besteht sie aus einem Satz.
«Hiermit kündige ich meinen Vertrag wegen grundsätzlich gegenteiliger Auffassungen über die Personalplanung für das nächste Geschäftsjahr fristlos und mit sofortiger Wirkung.»
Ich beende das, was die letzten sieben Jahre mein Leben dominierte. Es wird mein letzter Tag bei der Zeitung sein, bei der ich im Oktober 2000 aufgeregt wie ein Kind an Weihnachten als Polizeireporter angefangen hatte. Die Zeitung, die mein Baby geworden ist. Bei der ich mich – trotz allem – sicher fühle, weil ich alle kenne und wir uns lieben, streiten, uns aufeinander freuen oder versuchen zu ertragen wie in einer Familie. Mit denen ich mehr Zeit verbringe als mit irgendeinem anderen Menschen in meinem Leben. Mit der wir sagenhafte Erfolge erzielt und schmerzvolle Niederlagen kassiert haben. Ich fühle mich wie in einer Beziehung, in der alles Schöne und Gemeinsame, das gewesen ist, mit einem Mal in den Hintergrund tritt, weil der andere gerade eingesteht, fremdgegangen zu sein. Von jetzt auf gleich ist die Wut auf den Partner stärker als alles andere. Die Kraft reicht nicht, die Verletztheit zu ertragen. Die Kraft reicht nur zum Schlussmachen und Wegrennen.
Ich gehe volles Risiko. Kommt der Verlag der Kündigung nach, bin ich morgen arbeitslos. Ich habe keinen neuen Job. BILD hatte mir ein Angebot gemacht. Ich habe gesagt, dass alles vom Verlauf der Etatverhandlungen abhängt. Das Angebot ist eine Option – ob es der Schlüssel zu meiner Zukunft ist, weiß ich nicht. Das Interesse scheint da zu sein, einen Vertrag habe ich nicht vorliegen. In diesem Augenblick ist mir das egal.
Ich bin alle. Ich muss weg. Was danach kommt, werde ich sehen.
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Seitenwechsel
Winter 2007/2008
Die Wochen nach meiner Kündigung sind die schlimmsten in meiner Zeit bei der Morgenpost . Enttäuschung, Verletztheit, Anspannung und Misstrauen machen meinen Abschied zur unwürdigen Tortur.
Am Tag nach der Kündigung hatte ich fest damit gerechnet, sofort freigestellt zu werden. Es passierte nicht. Selbst als mehrere Medien anrufen, mich nach den Gründen meines Abgangs fragen und ich meine Kritik an der Strategie des Investors und seinen Renditeerwartungen offen äußere, passiert nichts. Dem Geschäftsführer habe ich mitgeteilt, dass ich keine Rechnungen und Verträge mehr unterschreiben werde. So lange, bis mich das Haus freistelle, werde ich nur noch journalistische Aufgaben wahrnehmen. Ich bitte um ein Gespräch, in dem ich die Ernsthaftigkeit meiner Kündigung betone.
«Wir arbeiten an einer Lösung», antwortet der Geschäftsführer.
Mein Gefühl ist, dass er genau das nicht tut. Mich nach meinem Auftritt nicht nach Hause zu schicken, erscheint mir absurd. Spielt der Verlag auf Zeit?
Am nächsten Tag sage
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