Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
fasziniert mich. Ich mag die puffige Atmosphäre, den Geruch nach zu viel Gucci-Parfüm, nach zu viel Weichspüler in den Handtüchern, die astrein gepflegten Körper, das Lustprinzip. Ich bin spitz, ich zahle, ich habe Spaß, ich gehe, ich habe keinen Stress, ich werde Stress los. Die Reduzierung aufs Körperliche in dieser speziellen zwischenmenschlichen Beziehung fällt mir leicht. Es macht mich an.
Ich weiß nicht, wie viele Männer ich kenne, die noch nie bei einer Hure waren, wahrscheinlich sind es nicht viele. In Hamburgs gehobenen Kreisen enden offizielle Veranstaltungen manchmal mit einem Puffbesuch in kleiner Herrenrunde. Das schafft Vertrauen. Da hatte ich als Journalist nichts dagegen.
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Angepasst, unangepasst
Herbst 2007
Seit die Heuschrecke die Morgenpost übernommen hat, spitzt sich die Situation in der Redaktion immer weiter zu. Die Fronten sind verhärtet, zerrissen winde ich mich mittendrin. Auf der einen Seite das Management, auf der anderen die Mitarbeiter. Die einen wollen abkassieren, wollen immer bessere Zahlen sehen. Die anderen rebellieren dagegen. Das Team weiß, dass ein Streik mich in meiner Position gefährden würde. Die Manager wollen keinen Chefredakteur, der nicht verhindern kann, dass seine Leute auf die Straße gehen. Immer wieder ist die Lage so angespannt, dass ich glaube, morgen ist es so weit, morgen lassen sie alles stehen und liegen und zetteln den Aufstand an. Die Gierschlünder kriegen das mit.
«Haben Sie das im Griff?», fragen sie mich.
«Ja, habe ich», lüge ich.
«Dann ist ja gut. Streik ist das Letzte, was wir gebrauchen können. Denken Sie an die Zahlen.»
Ich denke an die Zahlen, sie lassen mich kalt. Ich bin kein Gierschlund, ich bin Journalist. Ich hasse das Spiel der Gierschlünder.
Das Verhältnis der Redaktionen in Hamburg und Berlin ist noch immer angespannt. Der Zwang zur Synergie hält sie mit einem Keil aus Neid und Missgunst auf Distanz zueinander. Die Hamburger verstehen nicht, warum sie sich von einer auf Ostberlin ausgerichteten Redaktion Themen vorgeben lassen sollen, und die Leute vom Kurier sind von der ständigen Kritik aus Hamburg genervt. Der Heuschrecke kann das nur recht sein. Das Risiko, dass sich beide Redaktionen gegen die Sparmaßnahmen solidarisieren, liegt bei null. Der Ton am Telefon ist barsch, zickig, zynisch, mitunter beleidigend. Manche blaffen sich nur noch an, immer wieder knallen Hörer auf. Die Erwartung an die Chefredakteure: «Sorgen Sie dafür, dass die Situation nicht eskaliert!» Haben die eine Ahnung, was bei uns los ist! Die Situation ist längst eskaliert.
Der Druck wächst von allen Seiten. Egal, wie rum ich mich drehe, egal, wie ich mich positioniere: Druck, Druck, Druck. Ich bin ein Kessel, der unter Hochdruck steht. Bald explodiert er. Bald zerreißt es mich. Aber ich kann und will weiterhin mit niemandem über meine Situation sprechen. Ich mache alles mit mir selbst aus. Wer zugibt, dass er zweifelt, hadert, Angst hat, von der Belastung erdrückt zu werden, gilt als schwach. Oder? Fast allen Freunden, die nicht auch Kollegen sind, habe ich mich entzogen. Da will ich nicht plötzlich wieder an ihrer Tür auftauchen und sie mit meinen Job-Problemen behelligen. Vermutlich würden sie mich auch gar nicht verstehen. Es ist doch noch derselbe Job, wegen dem ich mich rargemacht habe. Der mir die vergangenen Jahre wichtiger war als die Freundschaft. Ich war doch so begeistert, ja geradezu euphorisiert, so stolz und manchmal sogar überheblich. Und nun soll alles nur noch Qual sein? So würden sie mir bestimmt kommen. Vielleicht phantasiere ich mir da auch was zusammen. Ich will es nicht drauf ankommen lassen, will meine Befürchtung nicht bestätigt wissen. Ich schweige auch gegenüber den Frauen, mit denen ich Affären habe. Kein Wort zu meiner Ex-Freundin, zu der ich ein sehr vertrauensvolles Verhältnis pflege. Geheimniskrämerei selbst gegenüber meinen Eltern und meinem Bruder.
Der ein oder andere merkt bestimmt, wie ich mich quäle. Wahrscheinlich merkt er es nicht nur, sondern beginnt, sich auch um mich zu sorgen. Aber keiner sagt was. Wahrscheinlich denken sie: Solange er nichts sagt, wird’s schon gehen. Noch geht’s ja auch, irgendwie.
Nachdem die größte Streikgefahr gebannt, in der Redaktion kein Frieden, aber ein bisschen Ruhe eingekehrt ist, setze ich mir für die Etatverhandlungen ein Ziel: Ich werde auf gar keinen Fall einem weiteren Kahlschlag zustimmen. Unsere Zahlen
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