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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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Ehrgeiz hielt sich in Grenzen. Somit hatte ich freie Bahn, musste mich nicht mit Neidern herumschlagen oder zum Kräftemessen gegen einen Haufen Konkurrenten antreten. Zu tun gab es genug. Ich bot mich immer an, wenn jemand für einen Sondereinsatz gesucht wurde. Mit der Zeit eignete ich mir einen boulevardesken Schreibstil an. Kurze, knackige Sätze, bilderreiche Sprache, Emotionen und plakative Zitate. Das lag mir. Ab und an rief die Umlandredaktion der BILD an und kaufte eine Geschichte von mir ein, meistens dann, wenn es um Verbrechen ging. Meine Artikel aus der Provinz erschienen in der größten Zeitung Europas!
    Ich fing an, alles zu sammeln, was von mir veröffentlicht wurde. Nach drei Jahren füllten meine Artikel einen ausrangierten Koffer. Manchmal setzte ich mich zu Hause hin und las alte Geschichten. Entdeckte ich Fehler, ungelenke Formulierungen oder unverständliche Zusammenhänge, ärgerte ich mich darüber und nahm mir fest vor, es ab sofort noch besser zu machen.
    Jens, der Lokalchef, nur fünf Jahre älter als ich, mochte mich. Ich ihn auch. Er war der erste Kollege, an dem ich beobachtete, wie Stress einen Menschen verändert. Sobald es hektisch wurde, etwas nicht wie geplant klappte, ein Mitarbeiter ihn nervte, zeigte Jens Stress-Symptome, begann mit dem rechten Bein zu wippen, manchmal wahnsinnig schnell. Er legte die Stirn in Falten, sah damit mal zornig, mal verärgert, mal verzweifelt aus. Jens trank unheimlich viel Kaffee, und die Abstände, in denen er sich eine Zigarette ansteckte, verkürzten sich, je näher der Redaktionsschluss rückte. Bei ihm zu Hause geriet alles aus den Fugen. Der Kontakt zu seinen beiden Söhnen reduzierte sich, je mehr Verantwortung er bekam, und auch die Beziehung zu seiner Frau steckte in einer dauerhaften Krise. Ich beobachtete ihn und sorgte mich um seine Gesundheit. Jens war nicht mal dreißig und raste mit Highspeed geradewegs auf den Burn-out zu. Den Begriff kannten wir damals zwar noch nicht, aber das Gefühl war: Geht das so weiter, geht bald gar nichts mehr. Ein- oder zweimal sprachen wir über seinen Druck. Mich schreckte das ab, und gleichzeitig faszinierte es mich. Ich glaube, ab diesem Zeitpunkt setzte ich Verantwortung und Entscheidungsmacht mit Stress bis zur Verausgabung gleich.
    An einem Freitagabend nahm mich Jens mit in die Runde der Redakteure, die sich einmal im Monat beim Griechen um die Ecke zum gepflegten Absturz mit Bier und Ouzo traf. Ich empfand das als Ritterschlag: Ich war auf bestem Weg, Zeitungsredakteur zu werden. Es gab keinen Zweifel für mich, meinen Traumjob gefunden zu haben. Nun hatte ich eine Bühne, auf der ich das machen durfte, was ich am besten konnte: schreiben.
    Von da an gab es nichts, für das ich mich mehr ins Zeug gelegt hätte als für meinen Job. Nie zuvor hatte ich mehr Bestätigung bekommen. Der Kick war enorm. Im Gegensatz zur Bewertung schulischer Tests fühlte ich mich nun nicht mehr für auswendig Gelerntes, sondern für meine eigenen Leistungen gewürdigt. Für meinen Ehrgeiz. Ich wollte immer die großen Geschichten schreiben, gleichzeitig war ich mir für nichts zu schade. Nicht aus Kalkül auf Karriere, sondern weil ich das, was ich tat, großartig fand.
    Meine alten Freunde sah ich immer weniger. Die meisten von ihnen studierten noch. Einige saßen überwiegend vor dem Computer oder an der Spielkonsole, kifften und lebten von Nebenjobs und dem Zuschuss ihrer Eltern. Mich langweilte das. Sie fanden mich vermutlich arrogant. Sprach mich einer auf meine Arbeitswut an, reagierte ich herablassend: «So ist das eben, wenn man für sich selbst sorgt.» Mehrere Freundschaften versandeten. Immer seltener ließ ich mich bei den alten Kumpels blicken, selbst mit Karsten spielte ich kaum noch Squash, und Burk, der in Bars arbeitete, sah ich nur noch alle paar Monate. Die Computer-Jungs besuchte ich ab und an, wenn ich das Bedürfnis hatte, aus meiner neuen Arbeitswelt für einen Moment auszubrechen. Ich setzte mich dann mit an den Rechner, rauchte einen Joint, und alles war wie früher: dieselben Themen, derselbe Humor, dieselbe Nähe. Wir hatten die Pubertät gemeinsam durchgemacht – es gibt wohl kaum eine Zeit, die mehr zusammenschweißt. Nichtsdestotrotz wurden auch diese Treffen weniger.
    Statt mit meinen alten Freunden traf ich mich nach Feierabend meist mit Kollegen. Wir verbrachten täglich mindestens zehn Stunden in der Redaktion und gingen danach was trinken. Erst jetzt im Nachhinein wird mir bewusst,

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