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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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durfte fast immer alles, vor allem in der Pubertät haben sie mich mein Ding machen lassen. Die meisten meiner Freunde hatten strenge Vorgaben, wann sie nach einer Party zu Hause zu sein hatten. Ihre Lernzeiten wurden überwacht. Einer meiner besten Kumpels bekam sogar Stubenarrest, wenn er schlechte Noten mit nach Hause brachte und sich dafür nicht in den Staub schmiss und hoch und heilig sofortige Besserung versprach. Meine Eltern waren da anders. Sie haben bei schlechten Noten nicht geschimpft. Manchmal haben sie mich gefragt, warum ich mich nicht mehr anstrengen würde, ich könne das doch viel besser.
    Vermutlich hatten sie aber längst verstanden, dass ich mit meiner Verweigerung – ob bewusst oder unbewusst – gegen ein Schulsystem rebellierte, das aufs Abfragen auswendig gelernten Wissens ausgerichtet war. Pauken, pauken, pauken – darum ging’s. Wer am meisten behielt, wurde mit guten Noten belohnt. Einigen fiel das in den Schoß, für mich war’s eine Qual.
    Spätestens ab der siebten Klasse war das Gymnasium blanker Horror für mich, und ich ging nur hin, um meine Freunde zu sehen. Die meisten Lehrer und Stunden fand ich anstrengend: viel zu viel Theorie, viel zu wenig Leben. Ihre Themen waren mir unglaublich egal. Aber egal durfte einem nichts sein, das wurde bestraft. Die neunte Klasse habe ich wiederholen müssen, zwei Fünfen in Physik und Französisch und eine Sechs in Mathe standen in meinem Zeugnis. Aus Protest hatte ich irgendwann überhaupt nicht mehr gelernt. Erstaunlich, dass ich damit so weit gekommen bin. Ich überlegte, die Schule zu wechseln und Fachabitur zu machen.
    Als Kind wollte ich lange Zeit Koch werden. Mit etwa zwölf Sportreporter, dann Polizeipsychologe und als Jugendlicher Politikredakteur. Schon in der achten Klasse schrieb ich Artikel für die Schülerzeitung, gegen den Bau eines Autobahnrings, später dann gegen das Verbot der Teilnahme an Friedensdemos während der Unterrichtszeit, gegen die Anordnung eines Gottesdienstes als schulische Pflichtveranstaltung. «Zum Beten verdonnert» war der Titel. Der Artikel erschien zensiert. Auf die schwarzen Balken war ich stolz. Ich war gern ein bisschen Revoluzzer, oft im Stillen, nur selten laut. Mit einem Freund habe ich Münchens erste Demo gegen den Golfkrieg organisiert. Damals hatte ich hennagefärbte Dreadlocks, trug abgewetzte Jeans mit Schlag, Batikhemden, Palitücher und Lederschnüre am Arm.
    Meine Freunde warnten mich vor einem Schulwechsel. Studium und gute Positionen könne ich mir ohne allgemeines Abi abschminken. In der elften Klasse habe ich das Gymnasium trotzdem verlassen und bin an die Fachoberschule für Pädagogik und Psychologie gegangen – frei der Sorge, ich würde mir damit etwas verbauen. Ich nahm mir vor zu beweisen, dass ich es auch so zu etwas bringen würde. Daran habe ich mich erst viel später erinnert. Unbewusst hat es mich vielleicht immer angetrieben.
    An der Fachoberschule hatte ich tatsächlich das erste Mal in meinem Leben Spaß am Lernen. Den Abschluss schaffte ich locker. Mit knapp zwanzig war ich mit der Schule fertig und hatte begriffen, dass ich meinen Weg wohl durch Erprobung gehen und Abzweigungen riskieren würde müssen.
    Als ich nach dem Zivildienst Geld verdienen musste, legte sich ein Schalter um: Mit Revolte war offensichtlich kommerziell nicht viel zu holen. Also passte ich mich zumindest äußerlich der Norm an. Ich zog zu Hause aus und wollte von meinen Eltern finanziell unabhängig sein. Auf Empfehlung eines Schulfreunds begann ich bei einer Agentur für Kulturwerbung als Plakatkleber. Die Konzert-Ankündiger von Prince , Take That , der Kelly Family und den Rolling Stones habe ich an Bauzäune, Bunkerwände, Tunnelpfeiler gekleistert, manchmal achthundert Stück pro Tour. Fast immer nachts, oft illegal. Pro Plakat bekam ich eine Mark. Ich fand den Job cool, war engagiert und hatte nicht das Gefühl, etwas Anspruchsloses zu tun, im Gegenteil: Er versorgte mich mit Geld und ließ mir dennoch Zeit. Zeit zum Nachdenken über das, was war, und das, was kommen sollte. Ich hatte noch immer vor, Journalist bei einer Zeitung oder beim Fernsehen zu werden.
    Nach einem Jahr Plakatieren und Party zog ich zurück nach Hamburg. Meine Geburtsstadt hatte mich die ganzen Münchner Jahre magnetisch angezogen. Ich arbeitete wieder bei einer Agentur für Kulturwerbung als Plakatierer. Mit Burk, einem Freund seit der Grundschule, mit dem ich nach Hamburg gezogen war, wohnte ich zusammen und

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