Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
Hoffnung: Der Rest reicht auch noch für eine Frau. Für Spaß im Bett und ein stabiles Miteinander. Zehn Prozent für alles, was nicht Beruf ist. Tendenz fallend.
Ein kluger Mensch hat mal zu mir gesagt: «Balance ist die wichtigste Aufgabe in unserem Leben. Für die meisten ist es die schwerste.»
Zu den meisten gehöre ich.
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Schwitzkammer
Juni 2010
Liegt es am Alter? Oder am aufreibenden Business? Oder an beidem? Ich höre immer mehr Freunde, Kollegen und Bekannte von ihren Krankheiten erzählen. Einer meiner besten Freunde hat nur eine Niere, siebenunddreißig Jahre ist er mit ihr klargekommen, jetzt ist sie kaputt, und er wartet auf eine Transplantation. Gleich eine Handvoll Mitarbeiter fallen mir ein, deren Blutdruck viel zu hoch ist. Eine Ressortleiterin hat chronische Magenprobleme. Der Chef vom Dienst ist viel zu oft erkältet, der Textchef hat Zucker, gleich mehrere Allergien zu haben, scheint normal zu sein, der Vorvorgänger auf meinem Posten hatte mit Anfang dreißig sogar einen Herzinfarkt. Alle paar Wochen erzählt mir jemand, er müsse operiert werden, falle länger aus, müsse auf Anraten seines Arztes kürzertreten. Es ist wie im Lazarett. Und ich mittendrin. Ich bin dauerkrank. Es ist eine Vergiftung, die nicht mehr aus meinem Körper weicht. Das Gift heißt: Stress.
Er quält mich nicht nur tagsüber, er sucht mich neuerdings auch nachts heim. Die Erholung, das dunkle Nichts des Schlafes umschließen mich nicht mehr so wohlig wie früher. Zwar schlafe ich fast immer gut ein. Ich lege mich ins Bett, bin zu müde zum Lesen, zum Fernsehen, zum Nachdenken. Zwei Minuten später bin ich weg. Vier, fünf Stunden schlafe ich am Stück. Viel zu früh wache ich auf. Ganz selten erinnere ich, was ich geträumt habe. Ich glaube, es sind keine guten Träume. Wenn ich aufwache, ist meine Stimmung häufig finster. Dann rattert es. Bin ich am Limit oder sogar schon drüber hinaus? Ob ich merke, wenn es vorbeigeht mit mir? Vielleicht so: Der Körper folgt mir nicht mehr. Ich fange an, komisches Zeug zu reden, ich kippe um, und peng, ist es aus. In meinem Kopf knallen alle Sicherungen durch, nichts funktioniert mehr, alles gerät aus den Fugen. Ich habe wahnsinnige Schmerzen. Ich spüre meine Arme und Beine nicht mehr, mein Herz drückt, mein Gehirn schmort, in meinen Gefäßen kocht das Blut. Ich stelle mir das Ende wie eine gewaltige Implosion vor. Ob ich sie überlebe, weiß ich nicht. Von dem, was danach kommt, habe ich kein Bild.
Unter rund zwanzig bei Wikipedia gelisteten Stressfaktoren treffen drei Viertel auf mich zu: Scheidung – chronische Konflikte in der Paarbeziehung – Zeitmangel – Termindruck – Lärm – große Verantwortung – ständige Konzentration auf die Arbeit – Angst, nicht zu genügen – Perfektionismus – Schlafentzug – Reizüberflutung – Schmerzen – seelische Probleme – unterschwellige Konflikte.
Von den genannten typischen Stress-Reaktionen kommen mir die meisten ebenfalls sehr bekannt vor. Oft fühle ich Traurigkeit, Ärger, Schuld, Angst, Verlassenheit, Müdigkeit, Leere. An üblen Tagen spüre ich heftige Aggressionen, möchte rennen, toben, schlagen. Oft bin ich sehr gereizt. Mein Körper reagiert mit Schmerzen am Rücken, im Kopf, in den Beinen, am Herzen, mit Energiemangel, Verspannungen, mal trockener, mal fettiger Haut, Herzrasen, Herzstechen, Haarausfall, verengter Brust, Magen-Darm-Problemen und hohem Blutdruck.
Das liest sich wie die Diagnose eines ziemlich kaputten Typen. Das bin ich. Als vor vierzehn Jahren meine ersten Artikel veröffentlicht wurden, hatte ich keinen Zweifel, dass ich alles dafür geben würde, im Journalismus Fuß zu fassen. Ein Traumberuf. Inzwischen macht er mich krank.
Mein größtes Dilemma ist immer noch der Rücken. Im Februar hielt ich es nicht länger aus. Ich hatte eine Woche Urlaub. Akku blitzaufladen unter kanarischer Sonne. Ein halbstündiger Spaziergang am Strand wurde zum Höllentrip. Eine Trainerstunde Tennis, das ich als Schüler mehrmals die Woche gespielt hatte, ertrug ich überhaupt nur mit doppelter Ibuprofen -Dosis. In den Sand konnte ich mich nach dem Baden nicht legen, ich fand keine Position, die für mich erträglich gewesen wäre. Es war Qual ohne Ende. Am liebsten hätte ich meinen kaputten Körper weggeschmissen.
So konnte ich nicht weitermachen, ganz dringend musste ich etwas gegen diese wahnsinnigen Rückenschmerzen unternehmen. Es sollte schnell gehen, supereffizient sein
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