Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)
Schwitzkammer. Dann habe ich es doch irgendwie hinter mich gebracht und bin drei Tage später wieder da gewesen.
Die meisten Yoga-Stunden bescheren mir wunderbare Momente. Endlich gibt es ein Ventil, durch das ich den während der Arbeit aufgestauten emotionalen Druck ablassen kann. Manchmal ist da so viel Anspannung, dass sie sich wie Wut anfühlt. Die Wut nehme ich mit in die schwersten Übungen. Mein Ziel ist es, sie loszuwerden, indem ich sie besiege. Gerade in diesen Übungen werde ich immer besser, ich wachse über meine Grenzen. Nie zuvor habe ich einen Sport ausprobiert, bei dem ich so viel über mich und meinen Körper lerne. Ich begreife, wie sehr Gefühle meine Leistung beeinflussen, wie stark mein Wille sein kann, etwas zu schaffen, was ich mir noch am Vortag nicht zugetraut habe. Die Grenzen stecke allein ich mir.
Beim Yoga denke ich über meine berufliche Situation nach. Nirgendwo sonst fühle ich mich so frei wie in Momenten, in denen ich mich in einer der Positionen, mit denen ich mich am schwersten tue, wieder ein paar Millimeter mehr als jemals zuvor gestreckt habe. Das seien die wichtigsten Positionen, sagen die Lehrer. Sie würden den Körper dort fordern und fördern, wo er am labilsten und verwundbarsten sei. Es ist jedes Mal ein Kampf, gerade diese Übungen nicht auszulassen oder sie nur halbherzig zu machen. Der Augenblick, sie trotz massiver Blockaden bestanden zu haben, ist der Augenblick des Siegs über reflexartige Widerstände. Ein kleiner Glücksrausch. Befreiend, bestätigend, betörend.
Ich beherrsche bis heute keine Übung perfekt, einige kann ich mittlerweile einigermaßen, einige noch immer gar nicht. Aber das ist nicht wichtig. Es geht im Gegensatz zur Zeitung beim Yoga nicht um erfolgsorientierte Leistung, die messbar ist wie die Zahl exklusiver Nachrichten oder die verkaufte Auflage. Das musste ich lernen. Anfangs war mein Ehrgeiz beim Sport der gleiche, mit dem ich meine Arbeit mache. Ich habe mich mit den anderen Yogis verglichen wie im Verlag mit anderen Redaktionsleitern. Das seinzulassen, fiel mir nicht leicht. Noch immer bin ich nicht frei davon. Aber es gelingt mir überhaupt das erste Mal im Leben, dass ich mich bei etwas, das mir wichtig ist, sehr anstrenge und meinen Erfolg nicht mit dem Erfolg anderer vergleiche. Das ist noch immer ein ungewohntes Gefühl. Es gefällt mir.
Beim Bikram Yoga habe ich von meinen Lehrern in Momenten größter körperlicher Verausgabung Weisheiten gehört, die ich versucht habe, mir für meinen Alltag zu merken:
Wisch deinen Schweiß nicht weg. Je mehr du wischst, je mehr kommt nach.
Je mehr du dich in deinen Übungen quälst, desto weniger wirst du dich im Leben draußen quälen.
Gib nicht dem ersten Impuls nach, eine Übung vorzeitig zu beenden. Trainiere deine Willenskraft, dich dem Impuls zu widersetzen. Es wird dich glücklich machen.
Nimm dir vor, in jeder Übung einen Schritt über die Grenze zur Unmöglichkeit zu gehen.
Werde selbst dein bester Lehrer.
Unser verdammtes Ego meint uns ständig glauben lassen zu müssen, wir seien jemand Bestimmtes. Lass die Erkenntnis zu, jemand ganz anderes zu sein.
You think you’re dead? You’re not dead. You’re still breathing.
Never let anybody steal your peace.
Beim Yoga versuche ich, auf den Moment hinzuarbeiten, die Fesseln zu lösen, die mich an meinen Job fixieren. Beim Dehnen, Halten, Strecken, Schwitzen versuche ich, dafür Kraft zu sammeln. Ich habe eine Energiequelle gefunden. Der Job saugt mich aus, der Sport speist frischen Saft ein. Hätte ich nicht Yoga für mich entdeckt, ich wäre wahrscheinlich schon mit kaputtem Rücken zusammengeklappt.
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Schweigen
Herbst 2010
Seit dem Urlaub mit meiner Ex-Freundin auf Fuerteventura vor einem Jahr treibt mich die Sehnsucht um, alles hinzuschmeißen. Raus aus der Verantwortung, raus aus der Mühle. Ich will mein eigenes Ding machen, mich nicht mehr über Kollegen ärgern, nicht mehr jeden Tag dieselben Gesichter sehen, nicht mehr von der Leistung anderer abhängig sein, mich nicht mehr von morgens bis abends zusammenreißen müssen. Ich will keinen Chef mehr haben. Ich will nicht mehr angestellt sein. Ich will meine Arbeitszeiten nicht mehr nach den Vorgaben eines Arbeitgebers richten. Ich will nicht mehr zu Menschen nett sein, die einen an der Waffel haben, aber für das Blatt wichtig sind. Ich will mehr ich sein.
ICH KÜNDIGE!
Ist doch ganz einfach: Ich fahr nach Berlin, ich sag dem Herausgeber, dass ich
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