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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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und nur wenig Zeit kosten. An Laufen war bei den Schmerzen nicht zu denken.
    Zu Hause recherchierte ich im Internet. Meine Suchbegriffe: Rückenschmerzen Sport hilft schnell Hamburg . Die ersten Treffer brachten mich zum Yoga. Kein Eintrag, der nicht die heilsame Wirkung gegen Verspannungen und Schmerzen an der Wirbelsäule beschrieb. Auch gegen Stress wirke Yoga, stand da. Mein Spritzen-Doc hatte mir Yoga bereits empfohlen, als er mir den Zettel mit den Strichmännchen-Übungen gegeben hatte.
    Yoga!? Da sitzen ein paar Gesellen mit Zottelhaaren, Zauselbärten und unsexy indischen Batikklamotten im Schneidersitz, brummen ooommm, strecken die Hände gen Himmel und inhalieren den Gestank von Räucherstäbchen. So stellte ich mir Yoga vor. Egal jetzt. Ich musste was tun. Also recherchierte ich weiter nach Studios in meiner Nähe. Dabei entdeckte ich eine Variante, die mich begeisterte. Bikram Yoga. Sechsundzwanzig Übungen in neunzig Minuten in einem auf vierzig Grad geheizten Raum. Dass klang sportlich, gar nicht nach ooommm und Räucherstäbchen. Das klang schön extrem, mein Ding. Drei Tage später machte ich ernst.
    Die erste Stunde war der Hit. In Badehose stand ich auf Gummimatte und Badelaken neben zwanzig Frauen und zehn Männern in einem unheimlich warmen Studio vor einem riesigen Spiegel und schwitzte schon wie verrückt, bevor es überhaupt losging. Ich glaube, selbst in der Sauna hatte ich noch nie dermaßen geschwitzt. Es war unglaublich. Total anstrengend, aber ich genoss jede Minute. Trotz der Flecken, die nach den ersten drei Übungen vor meinen Augen flimmerten. Trotz des heißen Schweißes, der an mir herunterlief wie geschmolzenes Fett. Mehrmals glaubte ich, den Raum verlassen zu müssen, wenn ich nicht umkommen wolle. Trotz der Qualen oder gerade deswegen spürte ich von der ersten Bewegung an, dass ich hier richtig war, dass es mir helfen würde. Und dass es mich nicht schon beim nächsten Mal langweilen würde wie so vieles in meinem Leben, was ich nach spontaner Begeisterung schnell wieder aufgegeben hatte.
    Nach der dritten Stunde begann mein kaputter Rücken eine Metamorphose, die ich noch eine Woche zuvor ohne OP für nicht möglich gehalten hatte. Die Schmerzen wurden weniger, ich hatte morgens vor dem Spiegel das erste Mal den Eindruck, meine Haltung um wenige Millimeter korrigieren zu können.
    So ging es weiter. Von Yoga-Klasse zu Yoga-Klasse verbesserte sich mein Zustand. Nach der zehnten Stunde waren die Schmerzen weg. Nur einmal sind sie wieder aufgetaucht – als ich diesen Sommer zwei Monate aussetzte, weil der Leidensdruck weg war und ich mich für geheilt hielt. Das war Unsinn, meine unteren Lendenwirbel blieben ja lädiert. Aber um sie herum hatte ich stützende Muskeln aufgebaut, die sich nun wieder zurückbildeten.
    Seit zwei Wochen gehe ich wieder zur Schwitzfolter. Die bekommt mittlerweile nicht nur meinem Rücken hervorragend. Da ist mehr Frische in meinem Gesicht, mehr Ausgleich in meinem Gemüt, ein paar feiste Fettkilos sind verschwunden. Mein erster Spiegelblick zielt nicht mehr auf die wachsende Kahlstelle auf dem Kopf, den Bauch und das speckige Doppelkinn. Ich gucke zuerst auf meine voluminöseren Oberarme, die sich dezent abzeichnenden Brustmuskeln und den festeren Hintern.
    Yoga ist der überfällige Ausgleich zum Job-Irrsinn. Beileibe bin ich kein Crack, zu jeder Minute Sport muss ich mich aufraffen. Aber die Überwindung, mich dann, wenn’s in der Redaktion besonders heiß herging, abends zu bewegen, statt auf die Couch zu packen, fällt mir gerade nicht so schwer. Der motivierende Kitzel ist das Extreme, das mir schon anfangs gefiel. Oft am Rande der Aufgabe zu sein, ohne jemals aufzugeben, das kickt. Ich habe Yoga-Stunden erlebt, in denen ich so litt, dass ich mir sicher war, nicht lebend aus dem brennend heißen Studio herauszukommen. An Tagen mit hoher Luftfeuchtigkeit hatte ich so schwer zu kämpfen, dass ich mich mittendrin fünf Minuten hinlegen musste, weil ich sonst der Länge nach umgekippt wäre. In mir brodelte eine solche Mörderhitze, dass ich glaubte, meine Organe würden verbrühen. In meinen Adern glaubte ich, das Blut rauschen zu fühlen. Ich sah Sterne, Glitzer, Regenbogen in Farben, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Für Sekunden hatte ich Kopfschmerzen, im nächsten Augenblick eine Gedankenklarheit wie schon lange nicht mehr. Es gab Klassen, da habe ich gehasst, was ich machte. Überall wäre ich lieber gewesen als in dieser verfluchten

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