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Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition)

Titel: Bis nichts mehr ging: Protokoll eines Ausstiegs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Onken
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unserer Beziehung keinen Sinn mehr sehe und sie beenden wolle. Dagegen hatte ich kein überzeugendes Argument. Selbst wäre ich diesen Schritt nicht gegangen, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Aber ich hatte Alexandra viele gute Gründe geliefert, es ihrerseits zu tun.
    Um der oftmals dicken Luft zu Hause zu entkommen, folgte ich meinen Lieblingskollegen fast jeden Abend zum Griechen, einen kräftigen Steinwurf von der Redaktion entfernt. Wir haben uns literweise mittelmäßig gezapftes Pils und Gyros mit Tsatsiki in der Kinderportion reingezwirbelt. In der Küche stand ein Inder, der die griechische Küche auf seine Art interpretierte. Für jedes zweite Bier gab’s einen Fusel-Ouzo aufs Haus – Kopfschmerzgarantie inklusive. Auf der Bundeskegelbahn im Keller habe ich nie jemanden kegeln, aber zweimal Kollegen auf Kolleginnen liegen sehen. So etwas passierte, wenn oben jemand etwas zu feiern hatte. Gefeiert haben wir oft.
    Mein schlechtes Gewissen saß immer mit am Tisch. Morgens noch hatte ich meiner Frau angekündigt, mich abends früher blickenzulassen und für meinen Sohn nicht nur am Wochenende da zu sein. Ich wollte damit ein Zeichen setzen, dass mir zumindest an ihm noch etwas lag. Spätestens nach dem dritten Bier verschob ich mein Vorhaben auf den nächsten Tag und schickte meiner Frau eine SMS: «Sorry, wird doch später.» Der Gedanke, in der Kollegenrunde etwas zu verpassen, war mächtiger als der Drang, nach Hause zu gehen und mein Versprechen einzulösen.
    An Werktagen kam etwa um acht ein Verkäufer mit der Abendausgabe der Morgenpost zum Griechen, und wir haben im Blatt nach Fehlern gesucht. Manchmal sind wir nach vier, fünf oder sechs Bieren noch mal in die Redaktion gegangen und haben angezwitschert Artikel umgeschrieben; noch eine Schießerei aus den Abendstunden gegen einen Verkehrsunfall vom Tag getauscht. Das wirkte aktueller. Wir haben Seitenlayouts geändert, Überschriften knackiger getextet. Mit Alkohol im Blut waren wir kreativer als nüchtern, zumindest kam uns das am Abend so vor. Bei der Besprechung der Ausgabe in der Morgenkonferenz am nächsten Tag waren die meisten froh, nur ein paar Änderungen und nicht das ganze Blatt im Brausebrand getextet zu haben. Locker und angetrunken liefen wir viel schneller Gefahr zu überdrehen. Der Spätdienst, für den Alkoholverbot galt, hat uns vor der einen und anderen Gaga-Schlagzeile bewahrt. «Meint ihr das wirklich ernst?», hat er nicht nur einmal gefragt, wenn wir ihm eine neue Überschrift diktierten.
    Meine Reporterzeit bescherte mir immer neue Kicks. Die Jagd nach Geschichten, die Recherche, der Wettkampf mit anderen Zeitungen um Exklusivität, bessere Fotos und Informationen drückten mir Adrenalin durch die Blutbahn.
    Als Alexandra mit Samy auszog, wurde mir endgültig klar, dass ich mein Leben weitaus mehr für den Job als für meine Familie und meine Freunde lebte. Mit der eingereichten Scheidung befiel mich eine Trauer. Der Traum des Idylls, das wir uns mit unserem Sohn, unserer Liebe, unserem Reihenhaus hatten schaffen wollen, war zerplatzt. Wir waren gescheitert. Ich war traurig, verletzt und wütend auf mich selbst. Und dennoch sah ich das Ehe-Aus für mich auch als Chance: Jetzt hast du freie Bahn, dich ohne schlechtes Gewissen in die Arbeit zu stürzen.
    Der Gedanke gefiel mir.

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    Aufstieg
    2004
    Ob es an meinem Dauereinsatz lag, ich gut genug schreiben konnte oder ob es einfach Fügung war, weiß ich nicht. Jedenfalls bekam ich im Frühjahr 2004 das Angebot, Ressortleiter der Lokalredaktion zu werden. Ich erinnere mich genau an den Moment, als mich der Chefredakteur von unterwegs auf meinem Handy anrief und sich mit mir für drei Tage später zum Mittagessen verabredete.
    Ich hatte bereits gehört, dass ich für die Nachfolge des zur BILD wechselnden Lokalchefs im Gespräch sei. Also ahnte ich, was kommen würde.
    Vor dem Treffen war ich aufgeregt. Ich erinnere mich nicht, ob ich vorher überhaupt mit jemandem außer dem scheidenden Ressortleiter über das Für und Wider des Angebots und über die Folgen gesprochen hatte. Ich glaube nicht. Wie so oft versuchte ich, es wieder einmal mit mir alleine auszumachen. Wobei das in diesem Fall nicht schwer war. Tatsächlich überlegte ich keine Sekunde, ob ich das Jobangebot annehmen würde. Obwohl die leitende Position eine berufliche Zäsur bedeutete: Sie wäre das Ende meines Reporterdaseins, das Ende der überschaubaren Verantwortung, die ich bislang nur

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