Bis Sansibar Und Weiter
energisch und nahm Lindas Hand. »Wohin?«
»Das weißt du genau.«
»Und was ist mit Mathe?«
»Vergiss das Scheißmathe!«
Während wir mit unseren Rädern zur Ringstraße fuhren, wo Lennart mit seinen Eltern wohnt, drückte ich aufs Tempo. Ich wollte diesen verdammten Mistkerl in die Finger kriegen, und zwar so schnell wie möglich.
Er war nicht zu Hause. Aber von seiner Mutter erfuhren wir, dass er mit seinen Freunden zum Bolzplatz an der Friedenskirche gefahren sei. Wenn wir wollten, könnten wir in seinem Zimmer auf ihn warten, bot sie uns an. Er werde zum Abendessen zurück sein.
Wir lehnten dankend ab und fuhren weiter. An der Friedenskirche stellten wir unsere Räder in einen Fahrradständer und liefen zum Bolzplatz.
»Was hast du vor?«, fragte Linda.
»Weiß nicht. Mal sehen«, antwortete ich.
»Na super«, murmelte sie.
Lennart war tatsächlich da. Er spielte mit zwei Freunden auf ein Tor. Bei einem seiner gewaltigen Schüsse flog der Ball zu uns herüber. Ich hob ihn auf und ging zum Zaun. Linda wollte mir folgen, aber ich gab ihr ein Zeichen, in Deckung zu bleiben.
»Hey, Marius!«, rief Lennart. «Her mit dem Ei!!«
Ich schüttelte den Kopf. Komisch, noch vor ein paar Stunden hätte ich mir jetzt in die Hose gemacht. »Los!«, rief Lennart. »Schmeiß den Ball rüber!« Wieder schüttelte ich den Kopf.
Die drei kamen angelaufen und bauten sich vor mir auf. Ich fühlte mich plötzlich ganz schön mickrig. »Was soll der Quatsch?«, fragte Lennart.
»Was habt ihr mit Linda gemacht?«, fragte ich. Meine Stimme zitterte. Ich hätte nicht sagen können, ob aus Angst oder vor Wut.
»Mit Linda?«, fragte Lennart zurück. »Haben wir was mit Linda gemacht?«
Seine Freunde – einer hatte einen Irokesenschnitt, dem anderen hingen die Haare bis auf die Schultern – schüttelten den Kopf. Sie strengten sich an, nicht loszulachen.
»Siehst du«, sagte Lennart. »Und jetzt gib den Ball her.« »Sie musste fast nackt nach Hause fahren!«, schrie ich. »Weil ihr sie ausgezogen habt!«
»Fast nackt?«, fragte Lennart gedehnt. »Und wenn schon. An der ist doch sowieso nichts dran. Flach wie ein Brett.«
In diesem Augenblick sah ich rot, dunkelrot. Der Überraschungseffekt war so groß, dass ich dem Irokesen eine Ohrfeige runterhauen konnte und den Langhaarigen umwarf. Fast hätte ich Lennart am Kinn getroffen, wenn der... ja, wenn der nicht aufgepasst hätte. Er packte meine Faust, hielt sie eisern fest und drehte sie so lange herum, bis ich vor ihm auf dem Boden kniete.
Als sich der Irokese aufgerappelt hatte und sich auf mich stürzen wollte, stoppte er ihn. »Lass Marius in Ruhe«, knurrte er. Damit stellte er mich wieder auf die Beine. Behutsam klopfte er mir den Dreck vom Sweatshirt. »Reicht das?«, fragte er.
Ich nickte.
»Idiot«, sagte er und spuckte aus. Die Rotze flog haarscharf an meinem Kopf vorbei. »Schlägst dich wegen so einer.«
»Ihr habt sie ausgezogen!«, rief ich.
»Na und? Sie hat ein großes Maul. Geschieht ihr ganz recht! Außerdem hat sie uns ›Ratten‹ genannt.«
Ratten – das schien Lindas Lieblingswort zu sein. »Zu dritt gegen ein Mädchen«, sagte ich.
»Hätte sich die blöde Kuh nicht gewehrt, wäre ihr nichts passiert«, mischte sich der Irokese ein. »Wir hätten sie ausgezogen und fertig.«
»Kleiner Scherz«, sagte der Junge mit den langen Haaren.
»Bist du verknallt in sie?«, fragte Lennart und hob den Fußball auf, den ich aus den Händen hatte fallen lassen, als ich mich auf die Jungs gestürzt hatte.
Schon wieder einer, der mich das fragte. »Verknallt?«, rief ich. »Du hast sie ja nicht alle!«
»Warum nimmst du sie dann in Schutz?«, fragte er weiter. Ohne meine Antwort abzuwarten, gab er seinen Freunden einen Wink und lief zurück auf den Bolzplatz. Einen Augenblick später spielten die drei weiter, als wäre nichts geschehen.
Ich ging zu dem Busch, hinter dem ich Linda zurückgelassen hatte – und erlebte die nächste Überraschung: Sie war verschwunden! Da kämpfte ich wie ein liebeskranker Depp um ihre Ehre und die Dame verduftete! Ließ mich mit den drei Gorillas allein! Mann, das war garantiert das letzte Mal, dass ich mich wegen ihr geschlagen hatte.
Neben einem Papiercontainer in der Nähe der Friedenskirche fand ich Lindas Sachen. An einem schwarzen Polo-Shirt war ein Knopf abgerissen, in der Jeans klaffte ein großes Loch. Ich klemmte beides auf meinen Gepäckträger, fuhr zu Linda und warf die Klamotten über den Zaun. Nach
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