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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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mein Zimmer. Dort warf ich mich aufs Bett und zog mir die Decke über den Kopf.
    Was in den letzten Tagen passiert war, war eine Katastrophe. Linda vergnügte sich mit Lennart, der versoffene Kapitän verjuxte in einer Nacht meine tausend Euro, mein Sparbuch war bis auf 31 Euro und 44 Cents leer geräumt, neben dem Kirschbaum standen ein viel zu großes Segelboot und ein ungefähr hundert Jahre alter Straßenkreuzer der Marke Dodge. Und das alles nur, weil ich in Linda verliebt war und ihr eine Freude hatte machen wollen!
    Ich hing immer noch meinen trüben Gedanken nach, als es leise an die Tür klopfte. Es war meine Mutter. »Der Käpt’n ist weg«, sagte sie.
    »Hat euch der Kaffee geschmeckt?«, fragte ich ironisch.
    Sie schien den scharfen Ton in meiner Stimme nicht gehört zu haben. »Er holt Werkzeug«, fuhr sie fort. »Er will dir helfen.«
    »Was tut er?«
    Sie dachte nach. Es dauerte, bis sie die Antwort auf meine Frage gefunden hatte. »Übermorgen seid ihr fertig, sagt er.«
    »Hast du ihn überredet, die Annemarie mit mir zusammen zu restaurieren?«, wollte ich wissen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Der Käpt’n will dir helfen«, wiederholte sie. »Er ist ein sehr netter Mann.«
    Ich wollte ihr nicht widersprechen. Schließlich schien sie mit dem Kerl gut zurechtzukommen. »Und der Kirschbaum?«, fragte ich. »Stört es dich nicht, dass die Annemarie beim Kirschbaum steht?«
    »Es ist ja nicht für lange«, antwortete sie.
     
    So kam es, dass mein Schiff gleich am ersten Tag nach seinem Umzug auf unser Grundstück seine weiße Farbe verlor. Oma und ich kauften zwei ebenso große wie teure Eimer Mahagonibeize und der Kapitän trug das Zeug auf.
    Nachdem wir eine Weile gewartet hatten, schlug die Farbe Beulen. Jetzt konnten wir sie entfernen. Vorsichtig hoben wir den weißen Lack mit den Spachteln ab, die der Kapitän mitgebracht hatte. An manchen Stellen ging es ganz leicht, an anderen klebte die Farbe so fest, dass wir aufpassen mussten, keine Macken ins Holz zu stoßen.
    Zwischendurch brachte Mama Kaffee und Sprudel und der Kapitän griff nur ein einziges Mal zur Cognacflasche, die er in seinem Dodge versteckt hatte. Während der Arbeit verzog er immer wieder das Gesicht. Doch aufmeine Frage, ob er Schmerzen habe, gab er keine Antwort.
    Am frühen Nachmittag kochte meine Oma für alle Gulasch. Obwohl der Kapitän genau wie meine Mutter nur einen halben Teller aß, rief er hinterher begeistert: »Das war besser als ...«
    »Ja?«, fragte Oma. Sie mag es sehr, wenn man ihr Essen lobt. Und sie mag es gar nicht, wenn es einem nicht schmeckt.
    »Das war besser als bei meiner Frau«, murmelte er. »Sie sind verheiratet?«, fragte Oma.
    »Ist lange her«, antwortete der Kapitän. »Sehr lange.« Dann wandte er sich an mich. »Komm, Kleiner. Wir müssen wieder an Bord!«
    Als es dunkel wurde, taten mir die Hände weh und mein Rücken schmerzte fast so sehr wie nach dem Sturz von der Linde. Außerdem hatte ich mir die Knie wund gescheuert. Trotzdem hatte mir der Tag Spaß gemacht, sehr viel Spaß sogar – vor allem weil ich fast gar nicht an Linda gedacht hatte.
    »Die Annemarie sieht schlimm aus«, sagte ich zum Kapitän, der an dem Dodge lehnte und einen von Omas Zigarillos paffte. Es war keine Spur von Mahagoni zu sehen, nur ein schmutziges Gemisch aus weißen und grauen Farbspuren.
    »Morgen schleifen wir«, sagte er, hielt den Atem an und verzog kurz das Gesicht. »Dann wird geölt. Und dann sieht die Süße aus wie frisch aus der Werft. Sollst mal sehen, Kleiner.«
    »Und der Schwertkasten?«
    »Wir bauen einen neuen«, antwortete er.
    Ich lehnte mich neben ihn ans Auto. »Ist das eigentlich Ihr Dodge?«, fragte ich.
    Er nickte. »Hab ihn lange nicht mehr gebraucht«, erklärte er. »Zwanzig Jahre oder so.« Mit diesen Worten klopfte er mir kurz auf die Schulter, winkte meiner Mutter zu, die uns von ihrem Zimmer aus beobachtete, und machte sich auf den Weg nach Hause. Zum Glück hatte er kein Geld mehr. So blieb er wenigstens nicht in der nächsten Kneipe hängen.
    Vor zwanzig Jahren hatte er seine letzte Sause gemacht, ging es mir durch den Kopf, während ich mir im Bad die Beize von den Händen wusch. »Teufelsdreck« nannte sie der Kapitän. So wie meine Finger brannten, passte der Name, und zwar hundertprozentig. Vor zwanzig Jahren war der alte Seemann das letzte Mal mit seinem Auto gefahren. War damals was Schlimmes passiert? Hatte es mit seiner Frau zu tun gehabt?
    Nach dem Abendessen klingelte

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