Bis Sansibar Und Weiter
geht jetzt. Alle beide. – Kannst du aufstehen?«, fragte sie mich.
Ich rollte mich auf den Bauch und drückte mich langsam hoch. Lindas Vater half mir dabei. Als ich endlich stand, war Lennart bereits verschwunden.
»Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte Lindas Vater.
Ich hätte sein Angebot gern angenommen. Trotzdem antwortete ich: »Ich nehme das Rad.« Auch wenn er jetzt freundlich tat, traute ich dem Typ nicht. Er hatte mich angelogen, mir ins Gesicht die Unwahrheit gesagt. Er hatte gewusst, dass seine Tochter Besuch hatte.
Lindas Vater öffnete den Mund. Doch dann zuckte er bloß mit den Schultern und ging zurück ins Haus.
Jetzt standen Linda und ich uns allein gegenüber. »Ist noch was?«, fragte sie. Hörte ich da Spott in ihrer Stimme?
»Ziege«, sagte ich. Sonst nichts. Dann humpelte ich zu meinem Rad.
Dreizehntes Kapitel
Z u Hause wollten sie natürlich wissen, was passiert war. Ich erzählte, dass ich mit dem Rad auf einer Öllache ausgerutscht, sonst aber alles in Ordnung sei. Dabei war nichts in Ordnung. Gar nichts. In meinem Kopf ließ jemand einen dicken Vorschlaghammer kreisen, mein Rücken hatte sich in einen einzigen großen Bluterguss verwandelt. Außerdem hatte ich Schwierigkeiten beim Atmen.
Trotzdem behielt ich das, was bei Linda geschehen war, für mich. Erstens brauchte Mama nicht zu wissen, dass ich auf einen Baum geklettert und heruntergefallen war. Und zweitens tat die Sache mit Linda und Lennart weh, mindestens so weh wie die körperlichen Schmerzen.
LINDA und LENNART, L und L – das klang gut, die beiden Namen schienen wie füreinander gemacht. M und L hatte dagegen keine Chance.
Nachdem ich mich gewaschen und eine Schmerztablette aus Omas Vorräten eingenommen hatte, setzteich mich ans Klavier. Zuerst versuchte ich, den Choral von Schumann zu spielen. Doch die ruhigen Akkorde waren nichts für jemanden in meiner Verfassung. Also klappte ich das Notenheft zu und tobte wie ein Verrückter auf den Tasten herum, bis mich Mama stoppte.
»Das ist aber gar nicht schön, Marius«, sagte sie.
»Entschuldigung«, sagte ich.
»Ist es wegen Linda?« Sie wäre bestimmt eine gute Psychologin geworden – hätte sie dafür kein Abitur gebraucht.
»Ja«, sagte ich.
Mama nahm meinen Kopf zwischen ihre Hände. Sofort beruhigte sich das Toben in meinem Schädel. »DD und ich haben uns auch manchmal gestritten«, sagte sie leise.
»Aber wir haben uns nicht gestr ... «, begann ich.
»Streiten ist nicht schlimm«, unterbrach sie mich. »Gar nicht schlimm. Man kann sich nur vertragen, wenn man sich vorher gestritten hat. Und Vertragen ist das Schönste, weißt du.«
»Ja, Mama.« Ich drehte mich auf dem Klavierstuhl um, umarmte sie und flüsterte ihr ins Ohr: »Du bist die beste Mutter der Welt. Die allerbeste.«
Am nächsten Morgen waren meine Kopfschmerzen verschwunden, nur mein Rücken tat nach wie vor weh. Natürlich war ich immer noch auf Linda wütend. Doch im Gegensatz zum Vorabend konnte ich wieder klar denken. Deshalb war mein Entschluss schnell gefasst: Ichwürde in Ruhe frühstücken und danach zum Kapitän gehen, um ihm zu sagen, dass er die Annemarie behalten könne.
Gegen neun saßen wir in der Küche beim Frühstück. Oma trug ein enges rotes Kleid und ein Haarband. Sie hatte einen Termin beim Friseur und hatte sich deshalb in Schale geworfen. Ich glaube, sie ist in den Typ verknallt. Dabei trägt er ein doofes Haarteil, wiegt höchstens fünfzig Kilo und ist einen Kopf kleiner als sie.
Mama aß ein Brötchen und verabschiedete sich schnell. Sie müsse arbeiten, sagte sie. Der Jansen habe angerufen. Er wolle Entwürfe sehen.
Ob sie klarkomme, wollte ich wissen.
»Es geht langsam«, sagte sie.
»Aber es geht«, ergänzte Oma, während sie sich die Lippen nachzog.
Dann ging sie vors Haus und ließ den Ferrari an. Ich hörte den Motor kurz aufheulen, dann wurde er wieder abgestellt. Einen Augenblick später kam meine Großmutter zurück ins Haus gerannt. »Ich komme nicht aus der Einfahrt raus!«, rief sie. »Mein... Friseur... Der... Kapitän... Ein... großes Boot...!«, stotterte sie.
Der Kapitän? Ich lief vors Haus – und wollte zuerst meinen Augen nicht trauen: Ein uralter amerikanischer Straßenkreuzer blockierte unsere Einfahrt! Wenn ich die verblassten Buchstaben über dem Kühlergrill richtig las, war es ein Dodge. Der hellblaue Lack war staubbedeckt, an den dicken Stoßstangen aus schönstem Chromhing Stroh, die roten Nummernschilder waren hinter
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