Bis unter die Haut

Rucksack. Immerhin hat sie es geschafft, einen Schultag hinter sich zu bringen, ohne sich lächerlich zu machen.
    Hey, das ist doch schon mal was.
    Sie schließt sich den hinausströmenden Schülern an. Zeit für ihre Schicht in der Bibliothek. Eilig quetscht sie sich durch die große Flügeltür und prallt dabei mit einem anderen Mädchen zusammen, das in die entgegengesetzte Richtung hetzt.
    »Sorry«, entschuldigt Willow sich, nachdem sie sich beide von dem kleinen Schreck erholt haben.
    »Nichts passiert«, erwidert das Mädchen und fügt dann etwas unsicher hinzu: »Ähm, kann ich dich vielleicht kurz was fragen?«
    Willows Blick wird misstrauisch. Was kann dieses ihr völlig fremde Mädchen von ihr wollen?
    »Vielleicht kannst du mir ja helfen …« Das Mädchen wirkt auf einmal etwas gestresst. »Ich hab …«
    » Wie bitte? « Willow ist vollkommen verblüfft. Dass jemand ausgerechnet sie um Hilfe bittet, ist so neu, so unglaublich, dass sie es kaum fassen kann.
    »Ich bin neu hier und hab mich verlaufen … Du kennst dich doch bestimmt aus. Weißt du vielleicht, wie ich zur Bibliothek komme?«
    Ich kenne mich aus?
    Na ja, zumindest weiß ich, wo die Bibliothek ist …
    Soll sie ihr einfach anbieten, sie zu begleiten? Wirklich begeistert ist sie von dieser Idee nicht, aber es wäre noch unangenehmer, ihr den Weg zu beschreiben und dann drei Meter vor ihr herzulaufen.
    Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, gemeinsam zur Bibliothek zu gehen. Dieses Mädchen weiß schließlich nichts über sie, noch nicht einmal, dass sie selbst neu ist. Außerdem gefällt ihr der Gedanke, dass sie offensichtlich einen so kompetenten Eindruck vermittelt, dass jemand sie um ihre Hilfe bittet.
    »Klar. Ich muss zufällig in dieselbe Richtung, komm doch einfach mit«, sagt sie schließlich und steigt mit dem Mädchen im Schlepptau die Treppe hinunter.
    Ob ich sie vielleicht fragen soll, was sie dort will? Wir könnten …
    »Sag mal, wo gehst du denn hin?«
    »Hm?«
    »Ich dachte die Bibliothek ist im selben Gebäude …« Das Mädchen klingt jetzt ziemlich ungehalten.
    »Hey, ich hab gerade mitgekriegt, dass du die Bibliothek suchst …« Ein wirklich süßer Typ, der unübersehbar an Willows Begleiterin interessiert ist, spricht sie an. »Die ist dahinten«, sagt er und deutet auf das Schulgebäude.
    »Danke. Das hab ich mir schon gedacht, dass ich dazu nicht rausmuss.« Die beiden werfen Willow einen Blick zu, als sei sie nicht ganz dicht.
    Du lieber Gott! Natürlich! Sie hat die Schulbibliothek gemeint!
    Wie konnte sie nur so blöd sein. Als sie Bibliothek hörte, hat sie sofort angenommen, dass …
    »Ich … Tut mir leid, ich dachte, du meinst die Uni-Bibliothek … Ich arbeite nämlich dort und …«
    »Du bist Bibliothekarin?« So wie der Typ es sagt, klingt es wie eine Beleidigung. Das Mädchen kichert leise. »Komm mit, ich bring dich hin«, sagt er zu ihr. Willow beobachtet, wie er ihr die Tür aufhält.
    So viel zum Thema »den Schultag hinter sich gebracht, ohne sich lächerlich zu machen«.
    »Willow, hey!«
    Was denn noch?
    Sie dreht sich um und sieht Guy mit Laurie neben den Fahrradständern stehen.
    Willow nickt verhalten. Der kleine Vorfall gerade hat sie ein bisschen aus dem Konzept gebracht, und sie hofft inständig, dass Guy und Laurie nichts davon mitbekommen haben. Hat er sie deswegen gerufen? Und was hat er überhaupt mit Laurie zu tun? Eigentlich sollte es sie nicht überraschen, dass die beiden sich kennen – sie sind schließlich im gleichen Jahrgang und die Schule ist ziemlich klein. Aber es macht sie trotzdem nervös. Vielleicht haben sie sich über ihren Katzentick unterhalten … vielleicht auch über etwas Schlimmeres. Ist Laurie etwa seine Freundin?
    Nicht dass es sie interessieren würde.
    »Gehst du zur Bibliothek?«, ruft Guy ihr zu.
    Soll das ein Witz sein?
    »Welche meinst du?«, fragt Willow und geht zögernd auf die beiden zu.
    »Die Uni-Bibliothek natürlich«, antwortet Guy. »Lass uns doch zusammen gehen. Laurie muss in dieselbe Richtung. Kennt ihr euch schon?«
    »Klar.« Laurie nickt.
    Willow sieht sie von der Seite an. Sie wirkt nett, höchstens ein bisschen gelangweilt, weiter nichts.
    Aber woher soll sie wissen, dass die beiden nicht gerade über sie geredet, sich das Maul über sie zerrissen haben?
    Willow ist furchtbar angespannt. Sie versteht nicht so ganz, warum Guy sie zum Campus begleiten will. Natürlich hat sie gehofft, noch einmal mit ihm sprechen zu können, aber