Bis unter die Haut
ansehen, hätte er nichts davon mitbekommen. Einen Moment lang wirkt er verwirrt. Ganz offensichtlich weiß er nicht, was er von der Geste halten soll, aber einen kurzen Augenblick später lächelt er zögernd. Willow bemerkt, dass Laurie sie neugierig beobachtet, und zieht hastig ihre Hand zurück.
»Also, es gibt da zwei verschiedene Möglichkeiten.« Falls Laurie dieses kleine Zwischenspiel irgendwie seltsam vorkommt, lässt sie es sich nicht anmerken. »Die suchen zum einen jemanden für das Frauengesundheitszentrum, was ich eigentlich ziemlich cool fände, und dann noch jemanden für einfache Recherchearbeiten bei einem Professor für vergleichende Literaturwissenschaft. Da geht es wirklich nur um ganz simples Zuarbeiten, sonst würde er den Job auch nie an jemanden von der Highschool vergeben. Aber unter Umständen kann ich ihn als Referenz angeben, und das würde sich echt gut in meinem Lebenslauf machen, verstehst du?«
»Absolut.« Willow versucht sich auf das zu konzentrieren, was Laurie sagt. Es interessiert sie zwar nicht die Bohne, aber trotzdem ist sie ihr dankbar, dass sie bis jetzt noch mit keinem Wort den Vorfall auf dem Schulhof neulich erwähnt hat. Das Mindeste, was sie im Gegenzug tun kann, ist, ihr aufmerksam zuzuhören.
»Das wäre echt gut«, fährt Willow fort. »Ich weiß, dass so was immer …«
»Hey!« Diesmal ist es Laurie, die das Gespräch abrupt unterbricht. »Schau dir das an!« Sie packt Willow am Unterarm – genau über dem Verband – und zerrt sie zum Schaufenster einer Drogerie.
»Das ist genau die Farbe, von der ich die ganze Zeit rede!« Laurie presst wie ein kleines Kind die Stirn an die Scheibe. »Ist die nicht der Hammer?« Sie nimmt ihre Sonnenbrille ab und deutet damit auf eine Pyramide aus Haarfärbemittelschachteln.
»Allerdings«, murmelt Willow, die ebenfalls begeistert ist. Aber nicht von den Schachteln, auf denen Auburn Flame steht. Vielmehr interessiert sie sich für das Schild links im Schaufenster. Das, auf dem ein Sonderangebot angepriesen wird.
Ziemlich günstig für Rasierklingen.
Bildet sie es sich nur ein oder sieht Guy sie irgendwie seltsam an?
Sie richtet den Blick wieder auf das Haarfärbemittel. »Die Farbe würde dir bestimmt total super stehen«, sagte sie und meint es vollkommen ernst.
»Danke.« Laurie scheint sich aufrichtig über das Kompliment zu freuen.
»Und was sagt Adrian dazu, dass du dir die Haare rot färben willst?«, fragt Guy.
»Den interessiert eigentlich nur, dass wir auf die gleiche Uni kommen.« Laurie setzt ihre Sonnenbrille wieder auf. »Im Moment ist er so sehr mit anderen Dingen beschäftigt, dass es ihm wahrscheinlich noch nicht mal auffallen würde, wenn ich plötzlich rothaarig wäre.« Seufzend wendet sie sich vom Schaufenster ab.
»Adrian?«, fragt Willow, während sie durch das Tor auf das Uni-Gelände gehen.
»Mein Freund.« Laurie lächelt.
»Du hast ihn schon mal getroffen«, wirft Guy ein. »Neulich, mit mir auf dem Campus, erinnerst du dich?«
»Ach, das war dein Freund?« Willow denkt kurz an die Begegnung zurück. »Tja dann … ich muss hier lang«, sagt sie, als sie die Marmortreppe erreichen, die zur Bibliothek führt.
»Ja, ich auch.« Guy bleibt stehen. »Danke noch mal, Laurie, dass du in Geschichte morgen für mich mitschreibst. Wir sehen uns dann übermorgen, okay?«
»Alles klar, bis dann.« Laurie nickt den beiden zu und zieht weiter.
»Viel Glück mit dem Praktikum«, ruft Willow ihr hinterher. »Ich beeil mich mal besser«, sagt sie und dreht sich zu Guy um. Sie kann ihm kaum in die Augen sehen. In ihrem Inneren toben widerstreitende Gefühle: Sie findet es unglaublich nett von ihm, dass er sie gleich zweimal davor bewahrt hat, unangenehme Fragen beantworten zu müssen, andererseits verwirrt es sie auch …
Außerdem kann sie nicht vergessen, dass er sie völlig in der Hand hat. Er hat die Macht, ihre Welt in Stücke zu zerschlagen, und das macht ihr Angst. »Sonst komm ich noch zu spät zur Arbeit«, fügt sie hinzu und macht sich daran, die Treppe hochzugehen.
»Ich hab deinen Bruder angerufen.«
Willow erstarrt. Entsetzt dreht sie sich zu ihm um.
»Entspann dich.« Guy lehnt sich mit verschränkten Armen ans Geländer und hat im Gegensatz zu ihr die Ruhe weg. »Ich hab mein Versprechen gehalten und ihm nichts gesagt. Ich hab ihn nur gefragt, wann du arbeitest, weil ich sichergehen wollte, dass wir uns heute noch sehen. Es gibt nämlich ein paar Sachen, über die wir beiden uns
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