Bis unter die Haut
bestimmt nicht, wenn jemand anders dabei ist.
»Okay«, stimmt sie schließlich zu. Ihr Blick wandert sehnsüchtig zu den Fahrradständern. Hätte sie doch bloß ihr Rad, dann hätte sie jetzt die perfekte Entschuldigung gehabt, um nicht mit ihnen mitkommen zu müssen. Aber wie es aussieht, führt kein Weg daran vorbei. Ein kleines Schweißrinnsal läuft ihr den Rücken hinunter.
»Ich wusste gar nicht, dass du in der Bibliothek arbeitest«, meint Laurie, als sie gemeinsam losschlendern, und holt eine Sonnenbrille aus ihrem Rucksack. »Cooler Job, wie bist du denn an den gekommen? Ich dachte immer, dass die nur Studenten nehmen. Scheinst ja ganz schön gute Beziehungen zu haben …«
Gute Beziehungen? Auch.
»Oh, hey, bevor ich’s vergesse«, fällt Guy Laurie ins Wort – er sagt es ganz beiläufig und trotzdem klingt seine Stimme etwas angestrengt, sodass Laurie ihn überrascht anschaut. »Ich kann morgen nicht zu Geschichte kommen. Könntest du vielleicht für mich mitschreiben?«
»Klar, kein Problem.«
»Cool, danke«, sagt Guy. »Das ist echt nett.«
Willow sieht ihn erstaunt an. Bildet sie sich das nur ein, oder ist Guy ihr tatsächlich zu Hilfe gekommen, indem er Laurie davon abgehalten hat, ihr unangenehme Fragen zu stellen?
»Und?« Sie räuspert sich. »Was treibt euch beide zur Uni?« Zufrieden stellt sie fest, dass das ganz okay klingt. Zwar immer noch nicht besonders geistreich, aber im Gegensatz zu dem unsäglichen Fauxpas mit den Katzen ist es eine echte Verbesserung.
»Ich will mich über eine Praktikumstelle informieren«, sagt Laurie, während sie die Straße überqueren und auf den Park zusteuern. »Ein richtiger Job wäre mir kohletechnisch gesehen zwar lieber, aber so ein Praktikum an der Uni ist genau das, was meiner Vita noch fehlt.«
»Ich muss in der Bibliothek ein paar Sachen recherchieren«, sagt Guy, »und Traurige Tropen zurückgeben.«
»Oh Gott, hast du’s etwa immer noch mit diesem alten Schinken?« Laurie schüttelt den Kopf. »Du bist echt krank!«
»Aber das ist wirklich ein großartiges Buch!«, ruft Willow. Dieser leidenschaftliche Gefühlsausbruch überrascht sie selbst ein bisschen, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, geht es Laurie nicht anders, aber Guy lächelt.
»Ach, du kennst das Buch?« Laurie rückt ihre Sonnenbrille zurecht. »Also, ich hab echt keine Ahnung, was ihr daran so toll findet. Aber Guy steckt seine Nase ja ständig in irgendwelche seltsamen Bücher, von denen noch nie jemand was gehört hat. Da scheint ihr ja voll auf einer Wellenlänge zu sein. Worum geht es da noch gleich? Anthropologie?«
»Ich, äh … ja«, sagt Willow leise und stellt erleichtert fest, dass es nicht mehr weit bis zum Campus ist.
»Obwohl sich so was natürlich ziemlich gut auf eurem Zeugnis machen wird«, fährt Laurie nachdenklich fort. »Ich meine, dass ihr euch freiwillig dieses ganze Zeug reinzieht.«
Willow findet Lauries Einstellung etwas seltsam. Für sie scheint alles nur Mittel zum Zweck zu sein, den Lebenslauf aufzupeppen.
»So gesehen«, fügt Laurie hinzu, als hätte sie Willows Gedanken gelesen, »ist es ganz schön originell, ausgerechnet Anthropologie zu belegen.«
Willow fragt sich, wie ihr Vater auf so eine Äußerung reagiert hätte.
Sie würde gerne das Thema wechseln, aber wie? Ihr will partout nichts Passendes oder Interessantes einfallen.
»Wie bist du überhaupt darauf gekommen?«, fragt Laurie jetzt. »Ich meine, gibt es einen bestimmten Grund, warum du dich so für Anthropologie interessierst?« Entweder fällt ihr nicht auf, dass Willow sich offensichtlich unbehaglich fühlt, oder es kümmert sie nicht weiter. »Hat dich jemand …«
Guy fällt ihr erneut ins Wort. Diesmal sogar noch unvermittelter als beim letzten Mal.
»Oh Mann, wen interessiert das schon?« Er klingt gelangweilt. »Erzähl mir lieber, was es mit dieser Praktikumstelle auf sich hat«, sagt er, als sie den Park verlassen.
Willow ist beeindruckt, wie geschickt es ihm gelungen ist, das Thema zu wechseln. Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass er sich genau im richtigen Moment schützend vor sie stellt.
Ist er wirklich so rücksichtsvoll und nett? Dabei ist sie doch nichts weiter als eine Last für ihn, ein lästiges Anhängsel, das ihm sein cooles letztes Schuljahr vermiest.
Sie denkt daran, wie er ihren Arm verbunden hat.
Ohne zu überlegen, fasst sie ihn am Ärmel – es ist nur der Hauch einer Berührung. Würde er sie in dem Moment nicht gerade
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