Bis unter die Haut
der Faust auf den Schalter, um es wieder anzumachen.
»Willow!« Er legt die Bücher rasch auf den Boden und fasst sie an den Schultern. »Soll ich dir die Haare aus dem Gesicht halten? Warte, ich schau kurz, ob ich hier irgendwo einen Mülleimer finde. Meinst du, du kannst es so lange zurückhalten?«
»Nicht nötig«, keucht Willow. »Es geht gleich wieder, wirklich. Ich bin nur ein bisschen …« Sie presst sich die Hände auf den Bauch. »Lass mich einfach … kurz runterkommen.«
»Natürlich. Vielleicht solltest du dich lieber …« Er schiebt sie sanft ein Stück nach hinten, sodass sie sich mit dem Rücken an das Regal lehnen kann. »Besser so?«
»Mhm.« Sie nickt, dankbar für die Hilfe. »Vielen Dank«, sagt sie, als ihr Atem endlich wieder ruhiger geht. »Danke, wirklich. Tut mir leid, was da grade passiert ist. Ich war nur … Es ist einfach irgendwie so über mich gekommen.« Sie schüttelt den Kopf. »Und du hättest mir echt die Haare aus dem Gesicht gehalten?«
»Wieso denn nicht? Hat das vorher noch nie jemand für dich getan?
»Doch, klar. Meine beste Freundin, nachdem ich auf irgendeiner Party ein paar Wodka-Jelly-Shots zu viel erwischt hatte, aber du wirst ja wohl zugeben, dass es irgendwie eklig ist, es bei jemandem zu machen, den man … na ja, den man gerade erst kennengelernt hat.«
»Hey, ich hab nicht gesagt, dass es mir Spaß gemacht hätte.« Er lacht. »Aber dass einem schlecht wird, ist zumin dest eine Reaktion, die ich nachempfinden kann«, fügt er jetzt wieder ernst hinzu und sieht sie aufmerksam an. »Willow, es tut mir leid. Ich hätte dir das nicht erzählen sollen.« Er nimmt die Hände von ihren Schultern.
»Nein, nein!«, versichert sie ihm hastig. »Ich bin froh, dass du es getan hast. Wirklich! Und ich will, dass du mir noch mehr davon erzählst. Es hat mich nur kurz ein bisschen aus der Bahn geworfen, das ist alles.«
»Du willst echt, dass ich dir noch mehr erzähle?«, fragt Guy zweifelnd.
»Unbedingt«, erwidert sie mit Nachdruck. »Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber David spricht nie über sie mit mir. Cathy auch nicht. Cathy ist seine Frau. Es ist, als hätten meine Eltern nie existiert.« Sie hält kurz inne und überlegt, wie sie es ihm am besten erklären kann. »Irgendwie absurd. Meine Eltern haben sich ihr Leben lang dafür eingesetzt, fremde Kulturen zu bewahren und die alten Sitten und Bräuche nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Tja, die Ironie des Schicksals ist, dass David sie jetzt mit keinem Wort mehr erwähnt. Das macht alles nur umso schlimmer.«
»In Ordnung«, sagt Guy langsam. »Aber wenn es zu hart für dich wird, dann sagst du sofort Stopp – versprochen?«
»Versprochen.« Willow nickt.
»Okay, aber zuerst suchen wir uns ein gemütlicheres Eckchen.« Guy hebt die Bücher auf und geht auf eines der hohen schmalen Fenster zu, durch das die Sonne ein kleines Rechteck auf den Boden zeichnet. Dort setzt er sich im Schneidersitz hin und winkt sie zu sich.
»Ist doch viel netter hier, und außerdem müssen wir nicht ständig das Licht wieder anknipsen.«
Willow setzt sich neben ihn und nimmt das Buch ihres Vaters in die Hand. Es ist ein schmales Bändchen mit hellblauem Leineneinband. Die Bücher ihrer Eltern hatten immer diese altmodischen Leineneinbände, und sie hat es immer geliebt, darüber zu streichen. Sie hatten eine fast raue Textur, ganz anders als die glänzenden Bestseller in den großen Buchhandlungen. Behutsam fasst sie jede einzelne Seite an der oberen Ecke an und blättert sie vorsichtig um, genau wie ihre Eltern es ihr beigebracht haben, und lässt langsam den Blick darüber wandern. Sie ist dabei innerlich ganz ruhig. Ab und zu hält sie inne, um sich bestimmte Passagen durchzulesen. Guy sagt währenddessen kein Wort. Nach einer Weile legt sie das Buch wieder neben sich und sieht ihn an.
»Erzähl mir von dem Vortrag.«
»Was möchtest du wissen?« Guy nimmt das Buch und fängt an, darin zu blättern. Wenn das überhaupt möglich ist, geht er damit sogar noch achtsamer um als sie gerade.
»Na ja, einfach alles. Welchen Eindruck hattest du von ihnen?«
»Hmm.« Guy legt den Kopf zur Seite und denkt nach. »Von deinem Vater? Brillant natürlich.«
»Gut.« Willow nickt, damit er weiterredet. »Aber erzähl mir bitte nicht nur das, von dem du denkst, dass ich es hören will, okay?«
»Ähm … Na gut. Also er hat ziemlich lahme Witze gerissen.«
»Ganz schlimm! Ich weiß. David und ich haben uns immer
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