Bis unter die Haut
warum er da ist und was er gedacht hat, als sie ihn angerufen hat, aber das Einzige, was sie schließlich hervorbringt, ist: »Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Es gibt da so etwas, das sich Telefonbuch nennt«, sagt Guy. »Und dein Bruder steht mit seiner Privatadresse auf der Uni-Website.«
»Ach ja, stimmt.« Willow reibt sich fröstelnd über die Arme.
»Du bist ja barfuß«, stellt er fest, nachdem er sie kurz von oben bis unten gemustert hat.
Willow blickt auf ihre Füße. Tatsächlich. Das hat sie gar nicht bemerkt.
»Ich … ich bin einfach aus dem Haus gerannt, als ich dich da stehen gesehen hab. Ich hab gar nicht …« Sie verstummt. Es kommt ihr irgendwie absurd vor, sich nach allem, was gestern passiert ist, über solche Banalitäten mit ihm zu unterhalten.
»Vielleicht solltest du dir lieber ein Paar Schuhe anziehen?«
»Ja, sollte ich wohl.« Willow tritt unbehaglich von einem Bein aufs andere. »Komm, lass uns reingehen«, sagt sie schließlich und geht ihm voran ins Haus zurück.
Guy beobachtet sie, während sie die Wohnungstür aufschließt. Sein prüfender Blick macht sie nervös. Bestimmt denkt er an den Anruf und was er bedeutet hat, aber er verliert kein Wort darüber und scheint …
»Deine Arme«, unterbricht er ihre Grübeleien.
»Ja?« Sie bleibt in der Wohnzimmertür stehen und dreht sich zu ihm um. »Was ist damit?« Sie schaut auf ihre Arme und versucht, sie mit seinen Augen zu sehen. Sie sind von Narben und Kratzern übersät, aber das ist ja nichts Neues für ihn. Er ist der Einzige, vor dem sie ein kurzärmliges T-Shirt tragen kann.
»Es sind keine neuen Schnittwunden darauf«, sagt er nach einer kleinen Pause.
Sie weiß genau, worauf er hinauswill, hat aber nicht vor, seine unausgesprochene Frage zu beantworten. »Setz dich.« Sie lässt sich auf die Couch fallen. Er nimmt ihr gegenüber in einem der Sessel Platz.
»Wo hast du es dann gemacht?«, lässt er nicht locker.
»Am Bauch«, antwortet sie. Wahrscheinlich ist es einfacher, es ihm direkt zu sagen.
»Aber das ist … Ich dachte … Du hast doch gesagt, dass du dich nur an den Armen schneidest!«
»Ich hab gesagt, dass ich es meistens an den Armen mache.« Ihre Stimme klingt rau. »Hier, ich kann’s dir ja zeigen, wenn du mir nicht glaubst!« Sie zieht das T-Shirt hoch, öffnet den Reißverschluss ihrer Jeans und schiebt sie ein Stück nach unten. »Und?«, zischt sie wütend. »Bist du jetzt zufrieden?«
Es überrascht sie selbst, wie sie sich verhält, und sie muss unwillkürlich daran denken, wie es wäre, wenn sie sich aus einem ganz anderen Grund vor ihm ausgezogen hätte. Dann würde sie sich um ganz andere Dinge Sorgen machen, zum Beispiel über ihre Unterwäsche. Gefällt sie ihm? Gefällt sie ihm? Stattdessen fragt sie sich, ob die Wunden so frisch aussehen, dass er ihr glaubt.
Guy weigert sich jedoch, ihren Bauch anzusehen. Er wendet den Blick ab und starrt auf den verblichenen Perserteppich, auf die Bücherwand, überallhin, nur nicht auf ihre nackte Haut.
»Na los!«, fährt sie ihn erneut an.
Er wendet ihr langsam den Kopf zu, sorgfältig darauf bedacht, ihr dabei nur ins Gesicht zu sehen. »Ich hab nie gesagt, dass ich dir nicht glaube. Ich hab mich bloß gefragt …« Er verstummt. Auf seinem Gesicht liegt ein gequälter Ausdruck. Er sieht furchtbar unglücklich aus.
Schließlich wandert sein Blick zu ihrem Bauch hinunter, seine Augen weiten sich. Ihr ist klar, wie absurd und fast schon pervers die Situation ist. Es ist nicht ihre Schönheit, die ihn sprachlos macht, sondern der grauenhafte Anblick, der sich ihm bietet.
Zögernd streckt er die Hand aus und legt sie auf ihren Bauch. Sie ist groß und verdeckt die Schnitte. Alles sieht jetzt ganz normal aus, unversehrt. Als würde seine Hand nicht dort liegen, um ihre Wunden zu verdecken, sondern aus einem ganz anderen Grund.
Die Berührung seiner Hand löst in ihr völlig neue und verwirrende Gefühle aus. Aber die schmerzenden Schnitte holen sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Guy macht sowieso nicht den Eindruck, als fände er den Moment romantisch oder würde ihn gar genießen. Im Gegenteil, er ist kalkweiß im Gesicht und sieht aus, als müsste er sich gleich übergeben.
Plötzlich reißt er seine Hand weg und presst sie sich auf den Mund.
»Soll ich dir den Kopf halten?« Warum sagt sie das so gereizt? Als Guy ihr im Magazin angeboten hat, ihr die Haare zurückzuhalten, hat diese Geste sie unglaublich gerührt, und
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