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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Hoban
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Rücksicht mehr auf die Gefühle eines anderen nehmen muss. Dass sie dann aber niemanden mehr haben wird, mit dem sie reden kann, der weiß, wer sie wirklich ist, und sie versteht. Schließlich sieht sie ihn an und gibt ihm die ehrlichste Antwort, die sie ihm geben kann: »Wenn du gehst, dann würde ich dich … schrecklichvermissen.«
    »Oh.« Guy steht vom Bett auf, geht zu ihr rüber und setzt sich vor ihr in die Hocke. »Ich lebe nicht mein Helfersyndrom an dir aus«, sagt er leise. »Ganz bestimmt nicht«, fügt er mit Nachdruck hinzu. »Und ich möchte nicht gehen.«
    Willow ist sprachlos. Nie hätte sie gedacht, dass sie jemand einmal auf diese Weise ansehen könnte.
    Sie lehnt ihre Stirn an seine. Fragt sich, warum er bleiben möchte. Er könnte es so viel besser haben ohne sie, so viel leichter.
    »Ich … Ich möchte auch nicht, dass du gehst«, sagt sie nach einer Weile.
    »Was möchtest du dann?«, fragt Guy.
    Sie weiß nicht, ob sie noch genügend Energie hat, darauf zu antworten. Sie ist völlig erschöpft. Die letzten zwei Tage sind einfach zu viel gewesen. Der Streit mit David, die Sache mit Guy im Magazin, der Vorfall im Park, ihr kläglicher Ver such, auf Isabelle aufzupassen, die hässliche Szene gerade. Aber all das verblasst, als sie ihm jetzt in die Augen schaut. Er ist schön. Und als sie daran denkt, wie er ausgesehen hat, als er auf dem Bett saß – so ruhig, so stark, so richtig – gibt es nur eines, das sie tun möchte. Es ist vielleicht nicht die Antwort, die er erwartet, aber die einzige, die sie ihm geben kann.
    »Ich möchte schlafen«, sagt sie schließlich. »Einfach nur schlafen, und erst wieder aufwachen, wenn ich genug hab.«
    Guy sagt nichts. Er nickt nur, als wäre es die normalste Antwort der Welt.
    »Okay.« Er richtet sich auf, zieht sie vom Stuhl und führt sie zum Bett. Dort macht er es sich wieder in seiner vorherigen Position bequem. Willow bleibt am Rand sitzen und fragt sich nervös, ob er womöglich ihren Geheimvorrat unter der Matratze spüren kann. Verlegen lächelte sie ihn an. Sosehr sie es will, so schwer fällt es ihr auch. Ihm scheint es dagegen überhaupt keine Probleme zu bereiten. Er streckt einfach lächelnd die Hand nach ihr aus.
    Willow schleudert die Schuhe von den Füßen, greift nach seiner Hand und krabbelt zu ihm ins Bett. Sie ist einfach nur noch müde, und seine Brust ist das beste Kissen, das sie sich vorstellen kann. Trotzdem zittert sie am ganzen Körper. Mit dem, was sie ihm gesagt hat, hat sie sich völlig schutzlos gemacht. Ihr kommt es vor, als hätte sie eine Schicht ihrer Haut heruntergerissen. Sie fühlt wieder etwas – etwas Gutes, etwas richtig Gutes sogar –, aber sie ist es gewohnt, gedämpft zu sein, betäubt, und kennt nur einen Weg, das zu erreichen.
    Guy ist innerhalb von Minuten eingeschlafen. Ihr fällt es nicht so leicht. Sie starrt an die Decke, versucht so gleichmäßig und ruhig zu atmen wie er, aber ihr aufgewühltes Inneres will keine Ruhe finden. Stattdessen konzentriert sie sich darauf, wie unglaublich gut sich seine Arme anfühlen, in denen sie liegt. Sie muss sogar kurz lächeln, als ihr Chloes Kommentar über Ruderer wieder einfällt. Trotzdem kann sie einfach nicht aufhören zu zittern. Ihre Hand wandert zum Rand der Matratze, schiebt sich darunter und tastet nach ihrem Vorrat.
    Du wirst schon damit fertig. So schwer ist es nicht.
    Tatsächlich hat Willow den Eindruck, dass sie bereits mit Schlimmerem fertig geworden ist. Als sie David vorhin so innig besorgt um seine Tochter gesehen hat, hat das furchtbar wehgetan, es hat sie aber nicht umgebracht. Die Erkenntnis ist fast wie ein kleiner Schock. Wie kommt es, dass sie diesen Schmerz ausgehalten hat, ohne zu ihrem bewährten Hilfsmittel zu greifen?
    Als ihre Finger sich endlich um die Rasierklinge schließen, ballt sie ihre Hand zur Faust. Mehr braucht sie im Moment nicht, aber sie muss wissen, dass mehr möglich wäre.
    Guy rollt sich im Schlaf auf die andere Seite und zieht sie mit sich. Überrascht von der plötzlichen Bewegung fällt ihr die Klinge aus der Hand und landet mit einem leisen metallischen Klingeln auf dem Boden.
    Sie steigt vorsichtig aus dem Bett, um sie aufzuheben, als ihr Blick seinen Rucksack streift und ihr eine Idee kommt. Sie überzeugt sich kurz davon, dass er auch wirklich tief und fest schläft, und holt dann einen Stift vom Schreibtisch. Einen Moment lang betrachtet sie nachdenklich den immer noch unbenutzten Aquarellmalkasten. Am

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