Bis wir uns wiedersehen (German Edition)
und dieser Jemand sich dadurch provoziert fühlte. Oder, wenn Jay von sich aus Streit suchte und an den falschen geriet. Immerhin hatte er ordentlich einen über den Durst getrunken, war sauer auf sie und könnte möglicherweise Dinge machen, die er später bereute. Resigniert nahm sie auf einem leeren Hocker Platz und ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Keine Spur von Jay.
"Vielleicht ist er mit irgendeiner Schnalle von hier nach draußen abgebogen, in ihr Auto oder so", schoss es ihr durch den Kopf. Doch im selben Moment, als sie sich sagte, dass dieser Gedanke genauso abwegig wie verrückt war, sah sie ihn. Er das Herz gebrochenteat stand ihr direkt gegenüber auf der anderen Seite der Bar und unterhielt sich angeregt mit einer billig aussehenden Frau um die fünfundvierzig. Ihr Haar war zu einem Bürstenschnitt geschoren und Wasserstoffblond gefärbt. Ihre Haut wirkte wie altes Leder, so solariumgebräunt, wie es war. Die Frau trug einen schwarzen Lederminirock, schwarze Netzstrumpfhosen, ein rotes, ärmelloses Shirt und war viel zu stark im Stile der Achtziger Jahre geschminkt. Scarlett beäugte die Situation aus der Ferne und hoffte, dass Jay sich wirklich nur mit dieser seltsamen Frau unterhielt. Obwohl sie gedacht hatte, dass ihre Beziehung sich auf einem absteigenden Ast befand, war sie nun eifersüchtig.
Die Frau ließ nichts anbrennen und ging bei Jay ordentlich auf Tuchfühlung. Zuerst berührte sie ihn nur ab und zu, sodass es den Anschein der Zufälligkeit erweckte, doch irgendwann legte sie ihre Arme um seinen Nacken und drückte sich an ihn, um ihm etwas zuzuflüstern, woraufhin beide zu lachen anfingen. Überhaupt kicherte sie scheinbar bei jedem einzelnen Wort, das Jay sagte. Eine ziemlich billige Art und Weise, sich an jemanden ranzuschmeißen. Mittlerweile hatte auch Jay seine Hände um die Taille der Frau gelegt und drückte sie an sich. Immer wieder kamen sich ihre Lippen gefährlich nahe, immer öfters flüsterten sie sich gegenseitig ins Ohr und alberten herum.
Jedes Mal, wenn sich ihre Lippen einander näherten, rutschte Scarletts Herz ein Stück tiefer. Sie wusste, dass Jay jemand war, der gerne flirtete, der Grenzen austestete und sich sogar oftmals in einer Grauzone bewegte, was das Flirten betraf, doch jetzt, wo Scarlett das Ganze praktisch von der ersten Reihe aus beobachten konnte, wurde es ihr zu viel. Sie stand auf und musste raus. Für einen kurzen Augenblick überlegte sie, zu Jay und der Frau hinüber zu gehen, ihr Territorium abzustecken und der Alten zu sagen, dass Jay seit elf Jahren vergeben war. Doch dann besann sie sich eines Besseren. Sie wusste, dass sie nicht der Typ war, der großartigen Stunk verbreitete. Und außerdem würde sie dadurch noch mehr Probleme mit Jay bekommen. Er würde bestimmt herumschreien, dass er tun konnte, was er wollte, und dass ohnehin nichts gelaufen war, und dass Scarlett mit ihrer eifersüchtigen, anhänglichen Art ihn nervte. Anhängliche Art. Wie interessant. Als ob es das normalste auf der Welt war, dass ein Kerl sich am Geburtstag seiner Freundin mit einer anderen amüsierte. In ihrem Hals hatte sich ein dicker Kloß gebildet und ihr Magen fühlte sich flau an, als hätte ihr jemand einen heftigen Schlag versetzt. Nichts wünschte sie sich in jenem Moment sehnlicher, als zu Hause zu sein und all das nicht mit ansehen zu müssen. Sie schob sich durch die Menschenmengen, die überall im Zazzy's herumzustehen schienen, ohne genau zu wissen, wohin sie eigentlich wollte.
Direkt vor ihr befand sich plötzlich eine hellbraune schmale Tür in einem grünen Rahmen. Die Tür war so unscheinbar, dass sie ihr gar nicht aufgefallen war, als sie ihren Blick vorhin durch den Raum schweifen ließ. "Sonnenterrasse" stand auf einem weißen Blatt Papier, dass an der Tür angebracht war. Daneben hatte jemand in krakeligen Strichen ein Männchen auf einer Liege mit einem Sonnenschirm gezeichnet. Scarlett überlegte nicht lange, ging auf die Tür zu und drückte sie sanft auf.
Als sie hindurch schritt, stand sie plötzlich auf einer mittelgroßen Holzterrasse, die Ausblick auf einen kleinen Teich und das Wäldchen bot, das sie schon vom Parkplatz aus gesehen hatte. Die Luft hier draußen war wunderbar, die Stimmung so friedlich und schön, dass sie einen unglaublichen Kontrast zum Zazzy's darstellte. Sie atmete tief ein, füllte ihre Lungen mit der sauberen, klaren, frischen Luft und ging die paar Schritte zum Geländer hin schon einmal bessere Tage
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