Bis wir uns wiedersehen (German Edition)
derselben Frau zu leben und sich mit ihr weiterzuentwickeln, gemeinsam mit ihr alt zu werden. War er von einer Frau gelangweilt, setzte er sie kurzerhand vor die Tür und machte sich auf die Suche nach einer neuen. Von einem Leben wie seine Freunde und Kollegen bei Gericht es lebten, war er weit entfernt und bislang waren ihm ernsthafte, tiefsinnige Gespräche, wie seine Kollegen sie mit ihren Frauen führen konnten, die allesamt auf demselben Bildungsniveau waren, wie ihre Männer, und auch dasselbe Alter hatten, auch nicht wichtig gewesen.
Doch der heutige Abend war irgendwie anders verlaufen, als die vielen Abende zuvor, in denen er mit seinen jungen Freundinnen irgendwelche Clubs in der Stadt unsicher gemacht hatte. Bislang hatte er es immer genossen, sich mit Wendy in der Öffentlichkeit zu zeigen. Er hatte die neidischen Blicke der anderen Männer genossen, und die Versuche von anderen jungen Frauen, ihn kennen zu lernen. Er liebte es für gewöhnlich, Wendy beim tanzen zuzusehen und zu wissen, sie würde an diesem Abend mit ihm nach Hause gehen. Die jungen Frauen - aktuell Wendy - waren irgendwie Trophäen für ihn. Er wusste nicht, woran es lag, dass sie ihn jetzt plötzlich nervte und er sich nach etwas anderem sehnte. Natürlich war Wendy nicht jemand, mit dem man Tolstois Werke diskutieren konnte, oder der eine eigene Meinung zur aktuellen Lage in der Innen- und Außenpolitik hatte, aber sie hatte definitiv Vorzüge, die diese wenigen Nachteile wieder wett machten. Sie hatte eine rattenscharfe Figur, sah wunderbar aus und war nymphoman. Bob beklagte sich regelmäßig, dass bei ihm und seiner Frau Ellen kaum noch etwas lief im Bett, was Charlie jedes Mal mit einem wissenden Lächeln quittierte und sich insgeheim ins Fäustchen lachte. Ihm würde solch ein "Notstand" nie passieren können. Nicht mit Mädchen wie Wendy, nicht mit ihren Vorgängerinnen und auch nicht mit ihren Nachfolgerinnen. Nicht im Traum wäre ihm eingefallen, dass er sich einmal so frei fühlen würde, wenn sie nur für wenige Stunden nicht im Haus war. Für gewöhnlich lief diese nervenaufreibende Techno-Musik, nach der sie so verrückt war, und mit der sie sich tagein, tagaus zudröhnte, parallel zum Fernseher. Wendy arbeitete nicht. Als Charlie sie damals in einer Bar in Manhattan kennen gelernt hatte, hatte sie ihm erzählt, dass sie gerade die Kosmetikschule in der sechsundvierzigsten Straße abgeschlossen hatte und sich in mehreren Nagelstudios beworben hatte, doch als sie wenige Tage später bei ihm eingezogen war, hatte sie keine ihrer Bewerbungen mehr erwähnt. Für Charlie war es auch einerlei, ob sie arbeitete oder nicht, ihm war es, ganz im Gegenteil, sogar sehr recht, dass sie nicht arbeitete. Bobs Frau Ellen leitete einCharles William Andrew Harrisoniehn Marketingunternehmen und kam selten vor neun nach Hause. Danach war sie oft müde und gestresst und zu nichts mehr zu gebrauchen. Charlie wusste zwar, dass eine Nageldesignerin vermutlich nicht so eingespannt sein würde, wie Ellen es war, doch es war ihm trotzdem recht, sein "Mädchen" zu Hause zu haben, wenn er vom Büro kam. Zu ihrem zweimonatigen Jubiläum schenkte Charlie ihr eine Platin-Mastercard und sagte ihr, sie solle sich damit die Zeit etwas vertreiben, was sie seither auch sehr ausgiebig tat. Doch auch ihr exzessiver Konsumrausch störte ihn nicht. Er hatte genügend Geld und verdiente in seinem Job als Staatsanwalt so gut, dass er sich neben Wendy 1 noch zwei oder drei weitere Wendys erlauben konnte. Und dennoch war irgendetwas an diesem Abend passiert.
Wendy hatte ihn genervt. Als er zurück ins Lokal gekommen war und sie ihn mit ihrem Kaugummi-Billigsekt-Atem geküsst hatte, hätte er sie am liebsten von sich geschoben. Sie hatte nach getrocknetem Schweiß gestunken und ihr Make up war an manchen Stellen verschmiert. Zum ersten Mal hatte er sie nicht als die rattenscharfe junge Braut gesehen, sondern als abgehalfterte Schnepfe. Er war unsagbar froh, die nächsten Stunden allein verbringen zu können. Wendy würde vermutlich in den frühen Morgenstunden betrunken nach Hause kommen und den nächsten Tag verschlafen. Umso besser. Es war, als wäre in ihm ein Schalter umgelegt worden, der eine kleine Stimme in seinem Kopf freigesetzt hatte, die immer und immer wieder sagte: "Sie ist nicht die Richtige für dich, sie ist nicht die Richtige für dich". Und die Stimme hatte Recht. Wendy WAR nicht die Richtige für ihn. Er erinnerte sich mit Grauen an ein Essen von
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