Bis zum bitteren Tod (German Edition)
ihn eine Stunde lang. Schließlich kehrten die Wachen zurück, stellten die Musik ab, legten ihm Handschellen an und stellten ihm die Fragen, auf die er bereits an die hundert Mal die Antwort verweigert hatte.
»Wer ist dein unmittelbarer Vorgesetzter? Wer gibt die Befehle? Wie heißt er?«
Aghani hatte genug. Die Wunde in seinem Oberarm, wo er von Officer Pete Mackay angeschossen worden war, pochte. Sein Widerstand flaute ab. Es gab nichts mehr, was er nicht tun würde, damit die Verhöre aufhörten. Er hatte Angst, die Amerikaner würden ihn einfach umbringen und niemand, noch nicht einmal seine Frau und seine Familie in Teheran, würden erfahren, was aus ihm geworden war.
Seine Halluzinationen wurden immer schlimmer, schwankend befand er sich in einer Art Niemandsland und konnte nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Illusion unterscheiden. Er sah zu dem Wachmann, der die Fragen stellte. Und er glaubte, es sei sein Vater. Der Raum löste sich auf zu dem Café in der Vali-ye Asr Avenue, das er so oft besucht hatte. Er konnte sich nicht einmal mehr an die Frage erinnern, die ihm zehn Sekunden zuvor gestellt worden war.
Der amerikanische Offizier stellte sie erneut, und Aghani hatte ihm nichts mehr entgegenzusetzen. »Salman«, sagte er. »Ramon Salman. Er ist mein Vorgesetzter.« Und mit dem letzten Quäntchen Widerstand, das er noch besaß, blaffte er: »Aber Sie werden ihn nie finden – er ist nach Hause gefahren.«
»Hamas, richtig?«, fragte der Verhöroffizier, ein weiterer Schuss ins Blaue, der allerdings auf dem Wissen beruhte, dass die Verbindungen zwischen Al Kaida und der Hamas von Jahr zu Jahr stärker wurden.
Unter dem Begriff Al Kaida ließ sich mittlerweile so vieles zusammenfassen, dass er kaum noch eine Bedeutung besaß. Al Kaida operierte im Umland von Bagdad und Basra, im Iran, im Süden und Nordosten von Afghanistan und in den Bergen von Pakistan. Für einen Nachrichtendienst war es daher kaum von Belang, wenn er zu wissen glaubte, dass Al Kaida dahinterstand. Ganz anders bei der Hamas. Sie verwies ganz eindeutig auf Teheran oder die syrische Hauptstadt Damaskus, die Salman in den Morgenstunden des 13. Januar aus Boston mit seinem Handy angerufen hatte. Und das allein zählte.
Reza Aghani wollte antworten. Nach dem langen Schlafmangel war er nur noch halb bei Bewusstsein. Er seufzte, und dann murmelte er: »Ja, Hamas.« Dann sackte er nach vorn, und der Verhöroffizier rief nach einer Bahre, um den bewusstlosen iranischen Terroristen in das kleine, mit 20 Betten ausgestattete Krankenhaus in Guantánamo zu schaffen.
Was Reza Aghani unter Stress geäußert hatte, wies alle Anzeichen eines Menschen auf, der sich aufgegeben hatte. Die Verhöroffiziere gingen davon aus, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Damit kehrten sie in die Zelle von Ramon Salman zurück.
Sie weckten ihn auf und drehten die Musik auf, knallten die Tür zu und ließen ihn allein. Als sie eine Stunde später zurückkehrten, ruckte er – keineswegs im Rhythmus des fünftklassigen Rock’n’ Roll – wie ein Geistesgestörter vor und zurück. Sie rissen ihm die Kapuze weg und stellten die Scheinwerfer so, dass sie ihn blendeten.
Ramon Salman wusste nicht mehr, ob er sich im Himmel oder in der Hölle befand, auch wenn er Letzteres vermutete. Er vermochte nicht zu sagen, ob er träumte oder ob alles wirklich war. Wie Aghani halluzinierte er, murmelte auf Arabisch, versuchte einen Grund dafür zu finden, warum seine Kinder mit im Raum waren, während er sich immer wieder in einem seiner Lieblings-Teehäuser in Damaskus sah, jenem in der Al-Bakry-Straße ganz in der Nähe seiner Wohnung in der Altstadt.
»Salman! Du weißt, was wir von dir wollen, und das wirst du uns jetzt auf der Stelle sagen!« Die Worte hatten die langgezogene Modulation des Dialekts in North und South Carolina und wurden von einem Absolventen der Citadel-Militärakademie gebrüllt.
»Nenn mir den Namen deines Hamas-Befehlshabers!«
Ramon Salmans Kopf fiel nach hinten, er verdrehte die Augen, er schien in Schlaf zu fallen, dann rührte er sich nicht mehr und starrte mit totem Blick zur Decke.
Die Stimme des Infanterie-Colonels aus dem amerikanischen Süden wurde weicher. Leise sagte er: »Komm schon, Ramon. Du hast nichts zu gewinnen, wenn du weiterhin schweigst. Komm schon, sag mir den Namen deines Vorgesetzten. Ist es der Engländer, der SAS-Major, der zur Hamas übergelaufen ist? Komm schon, Junge, lass uns diese Scheiße hier beenden. Sag mir
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