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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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weiter zu den anderen Mädchen, während der Van durch die Nacht fuhr.
    «Das Wichtigste ist», erklärte ihr Jelena, «dass du ihnen niemals deinen wirklichen Namen sagst. Sie werden dich fragen: ‹Wie heißt du?› Dann kannst du dir irgendetwas ausdenken. Schau mich an: Heute bin ich die strenge Irina!»
    Draußen zogen die beleuchteten Schaufenster teurer Geschäfte an Anna vorbei, die Puppen wirkten bleich, einsam, ihr schien, als winkten sie ihr zu. Trug diese dort nicht Laskas Windjacke? Aber das war nur ein Streich, den ihr die Phantasie spielte. Die Straßen waren wie ausgestorben, eine Gegend, in der des Nachts niemand lebte, niemand schlief, hier gab es nur die Puppen und sie.
    Der Wagen wurde langsamer, sie bogen in eine Tiefgarageneinfahrt ab. Rasselnd öffnete sich ein Rollgitter, hob sich eine Schranke, schloss sich das Gitter wieder. Borys parkte den Wagen, stieg aus, sah sich um, dann schob er die hintere Tür auf, und die Mädchen gingen mit ihm und dem Fahrer zum Aufzug.
    Es war ein beklemmender Moment, als sie alle im Aufzug standen, einem sauberen, neuen, nach Reinigungsmittel riechenden Aufzug, wie er in Hunderten, wenn nicht Hunderttausenden von Bürohäusern auf der ganzen Welt eingebaut war. Das Licht der hinter einer Blende montierten Leuchtstoffröhren verlieh den Gesichtern der Mädchen einen fahlen Ausdruck, er ähnelte dem der Büroangestellten, die am nächsten Morgen hinauf- und am Nachmittag wieder hinabfahren würden, nicht wissend, wer hier am Abend zuvor gewesen war, und ganz so wie diese Angestellten starrten die Mädchen einen Moment lang gleichgültig geradeaus, als sich die Schiebetür vor ihnen schloss.
    Jelena rief: «Sechster Stock, Kantine, bitte!»
    Da lösten sich die Gesichter aus ihrer Erstarrung, die Mädchen lachten, selbst Anna fand es komisch.
    Borys lachte nicht. Er stand mit dem Fahrer an der Tür und trug immer noch seine Sonnenbrille. Vielleicht hatte er das in einem Film gesehen. Vielleicht war er sich irgendwann unsicher gewesen, wie er auszusehen hatte, und da hatte er den Fernseher eingeschaltet und festgestellt, dass alle großen Bösewichte böse Männer an ihrer Seite haben, die ihre Sonnenbrillen niemals abnehmen. Er zog einen Schlüssel hervor und steckte ihn in ein Schloss über der Aufzugkonsole. Ohne dass er eine Taste gedrückt hätte, setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung.
    Wie Jahreszahlen wechselten die Etagennummern auf der rot glimmenden Digitalanzeige, bis die Kabine mit einem sanften Ruck im obersten Stockwerk zum Stillstand kam und sich die Tür öffnete. Vor Anna lag ein großer, auf drei Seiten von einer Fensterfront umschlossener Raum. Sessel, Couchtische und Sofas standen darin, hier und da saßen Männer mittleren Alters. Einige unterhielten sich mit anderen Männern oder mit jungen Frauen, die enge, knappe Kleider trugen.
    Als sie ausstiegen, nahm Borys die Sonnenbrille ab, und Anna fiel auf, dass er helle, wache Augen hatte. Er schaute sich suchend um, bis er einen Mann entdeckte, der am Rand stand und, obwohl schlank und mit einer schmalen, randlosen Brille auf der Nase, Borys im Hinblick auf Gesten und Haltung glich. Er gab ihm kurz und fest die Hand.
    «Das ist Alex. Ein paar seiner Mädchen sind auch da», sagte Jelena. Und als Anna sie fragend anschaute, fügte sie leise hinzu: «Joint Venture.»
    Die Penthouse-Party war in vollem Gange. Ein Buffet war aufgebaut, und zwei, drei junge Kellner mit Schürzen gingen zwischen den Tischen umher und servierten Champagner, Wein, Cocktails. Jemand in Jeans und mit einem Ohrring legte Platten auf. Elektronische Musik waberte im Raum, die Bässe ließen das Parkett kaum wahrnehmbar vibrieren, als arbeitete tief im Keller des Gebäudes ein Dampfhammer. Anna und Jelena waren vor dem Aufzug stehen geblieben, von wo aus eine breite Treppe drei Stufen hinab in den Raum führte.
    «Sieh zu, dass du was isst», flüsterte Jelena, «und trink nicht zu viel, es lohnt sich nicht. Am nächsten Morgen hast du nur Kopfschmerzen und einen schlechten Geschmack im Mund und weißt nicht mehr, woher.»
    Langsam gingen sie die Stufen hinunter. Einige der Männer wandten sich zu ihnen um, betrachteten sie verstohlen oder staunend, mit offenen Mündern.
    «Am Anfang sind sie alle schüchtern», sagte Jelena noch, «da erzählen sie dir ihre Lebensgeschichte oder von ihrer Arbeit oder sonst irgendwelchen Quatsch, zieren sich wie die Klosterschüler. Aber später wollen sie, dass du ihre Schwänze lutschst, bis

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