Bis zum Ende der Welt
dort, wo es zu einer Terrasse hinausging, tanzten einige Gäste, tanzten zur Musik, die der DJ , der jetzt eine ähnliche Sonnenbrille wie Borys trug, auflegte. Der Mann auf der Couch blinzelte, trank sein Glas aus.
«Und was machst du so? Hast du studiert?»
Sie sah ihn an. Er rutschte unruhig auf der Couch hin und her.
«Astronomie.»
«Astronomie? Das ist ja was sehr Spezielles, ich meine, Interessantes, also, kann man denn damit etwas, ich meine, wo du herkommst, kann man denn dort was damit anfangen?»
«Nein», sagte sie und nahm ihn bei der Hand. «Lass uns tanzen.»
Die Musik war jetzt eine Mischung aus Achtziger-Jahre-Disco-Sequenzen, unterlegt mit einem stampfenden Bass. Jede Melodie, jeder Takt kam ihr bekannt vor, wie eine Erinnerung, die als Tonfolge wiederaufbereitet worden war. Der Mann, der Peter hieß, tanzte ungelenk, hatte Schwierigkeiten, dem Rhythmus zu folgen, wankte leicht. Andere Männer beobachteten ihn, grinsten. Jelena hatte sich dem Fettsack auf den Schoß gesetzt. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, küsste ihn. Eines der Mädchen ging mit einem Mann auf die Terrasse, wie ein Paar, das ungestört sein will. Borys tauchte kurz aus dem Kabuff auf, und mit einer Zigarette im Mundwinkel und der Zufriedenheit eines Gemüsehändlers übersah er die Szenerie, bevor er wieder verschwand. Als der Mann, der Peter hieß, anfing, unter dem Johlen seiner Kollegen zu stolpern, zog Anna ihn mit sich an die Bar.
«Schluss mit dem Mädchenzeug», erklärte sie.
Sie tranken vier doppelte Wodka.
«Ihr sagt einem nie euren richtigen Namen, stimmt’s, Ruslana?», sagte er.
Anna hob ihr Glas und prostete ihm zu, und er leerte seines in einem Zug. Seine Augen waren jetzt noch trüber, die Lider schwer, er versuchte, sich eine Zigarette am Filter anzuzünden.
«Mist», sagte er.
«Wir gehen raus?», schlug sie vor. «Dort rauchen. Es ist so schön.»
Sie lotste ihn an den wenigen verbliebenen Tänzern vorbei durch eine Glastür hinaus auf die Terrasse. Ein paar Blumenkübel standen dort. In einer Ecke fiel ihr ein schwach beleuchteter Glaszylinder auf: Eine Treppe führte ein Stockwerk tiefer.
Sie traten an die Brüstung und rauchten. In der Ferne erkannte sie die Kuppel des Reichstages, die Hochhäuser am Potsdamer Platz. Sirenengeheul drang zu ihnen herauf, zusammen mit dem gleichförmigen Gemisch aus Klängen, die vom Grund der Stadt in die Nacht aufstiegen.
Der Mann hielt sich mit einer Hand am Geländer fest, fuchtelte mit der anderen in der Luft herum. «Sorry, no stars», sagte er.
«Ja. Keine Sterne.»
Sie drängte sich an ihn, er legte seinen Arm um ihre Hüften, unschlüssig, ob er sie nun küssen sollte oder nicht.
«Vielleicht wir sollten jetzt gehen nach hinten, oder?»
«Ja», er blinzelte wieder, «sollten wir wohl, Ruslana.»
Die dritte Tür war unverschlossen. In dem Zimmer sah es aus wie in einem Hotel: ein großes Bett, zwei Nachttische, ein Bad, eine durchgehend verglaste Balkontür, durch die die nächtliche Stadt funkelte.
Er wollte das Licht anmachen, aber sie nahm seine Hand, flüsterte: «Kein Licht!» Sie stieß ihn aufs Bett und legte sich auf ihn. Mechanisch fasste er nach ihren Brüsten. Sie öffnete seine Hose und musste eine Weile suchen, bis sie seinen auf halbmast stehenden Schwanz in der Hand hatte.
«Sorry», murmelte er.
Sie stand auf. «Warte. Ich mache frisch. Gleich zurück.»
«Sorry, no heaven», sagte er.
Sie ging ins Bad, wusch sich die Hände und wartete in der Dunkelheit. Dann öffnete sie die Tür einen Spalt und sah ihn reglos auf dem Bett liegen. Sie ging zu ihm, schubste ihn am Knie. Seine Augen blieben geschlossen. Er schnarchte nicht, aber sie hörte seinen gleichmäßigen Atem.
«Hey, hey», sagte sie.
Wieder im Bad, machte sie das Licht an, steckte sich einen Finger in den Hals und erbrach sich in die Toilette. Danach wusch sie ihr Gesicht mit kaltem Wasser, spülte sich den Mund aus, löschte das Licht und schlüpfte leise aus dem Zimmer.
Die Musik lief noch, aber der DJ war ebenso wie die Kellner gegangen. Eine Endlosschleife aus Rhythmus und Geräuschen, die sich manchmal zu einer Melodie zusammenzufinden schienen, hatte sich wie eine Decke auf den Raum gesenkt, als hätte jemand die Party mittels einer Fernsteuerung auf Autopilot gestellt. Eines der Mädchen lag lachend in einer schummrigen Ecke, wo zwei Männer sie bedrängten, jeder mit dem Bestreben, sie für sich zu gewinnen, als ob es für sie einen Unterschied machen
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