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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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Laska.
    «Ich weiß.»
    «Warum lässt du es dann nicht?»
    «Du bist nicht mein Vater.»
    «Man kann dran sterben.»
    «Musst du sterben, weil du mal geraucht hast?»
    «Nein.»
    «Willst du auch eine?»
    «Ich habe nie geraucht.»
    «Eben. Du könntest endlich anfangen damit. Könntest zu einem Kettenraucher werden. Weil’s dir völlig egal sein kann, ob Rauchen ungesund ist oder nicht, du kannst ohne Gewissen rauchen – ohne, ohne … – wie sagt ihr?»
    «Reue.»
    «Genau. Das ist nämlich das einzig Schlechte am Rauchen, dass man dran sterben kann und dann die ganze Zeit schlechtes Gewissen hat.»
    «Warum hörst du dann nicht damit auf?»
    «Warum fängst du dann nicht damit an?»
    Er seufzte und räumte das Geschirr ab. Sie beobachtete ihn dabei und versuchte sich vorzustellen, wie es war, wenn man wusste, dass man nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Was würde
sie
machen, wenn sie morgen die Diagnose bekäme? Ich kann es mir nicht vorstellen, dachte sie. Wir alle können uns unseren Tod nicht vorstellen, selbst dann nicht, wenn wir bei dem der anderen anwesend sind.
    Allein saß sie auf der Terrasse und sah den Hügel hinab. Der Garten verlor sich in einem karstigen Steilhang, auf dem niedriges Dornengestrüpp wuchs, Macchie, kein Zaun begrenzte ihn. Eine unsichtbare Armee von Zikaden hatte ihr Heerlager dort, im Kreuzdorn und in den Johannisbrotbäumen, und trommelte die Nacht herbei. Ab und zu fuhr ein Auto die gewundene Straße entlang, lautlos im Hämmern des vielstimmigen Cimbaloms. Bald war es ganz dunkel, und Stille senkte sich über den Garten. Sie sah die Lichter der Häuser, die, vereinzelt erst, zur Küste hinab immer mehr wurden, wie ein schwach leuchtender Bach oder Fluss, der von den Hügeln strömte und an- schwoll.
    «Früher war es weniger», sagte er plötzlich hinter ihr.
    «Was war weniger?»
    «Licht. Als ich zum ersten Mal hier war, gab es praktisch keine Häuser und damit fast kein Licht in der Nacht. Da war es völlig dunkel. Aber jetzt wird es immer heller, je mehr Häuser und Supermärkte sie bauen, und irgendwann gibt es dann auch hier oben Straßenlaternen und Tennisplätze mit Flutlicht und das alles.»
    «Was hast du gegen Licht?»
    «Es stört mich. Und meine Beobachtungen. Man braucht kein Licht in der Nacht, man braucht es nicht. Die Nacht ist die Nacht. Sie war immer da. Wir denken, die Nacht ist die Ausnahme, dabei ist es nur Zufall, dass wir im genau richtigen Abstand um einen halbwegs hellen Stern kreisen, der uns morgens zum Aufstehen zwingt.» Er legte den Kopf in den Nacken. «Bist du sehr müde?»
    «Nein.»
    «Komm mit.»
    Sie gingen durch den Garten bis zu einer Art Gatter, und danach folgten sie einem Pfad unter Pinien und zwischen Gesträuch hindurch, bis sie vor einer flachen Hütte stehen blieben, die hinter einem Grat auf einer kleinen Kuppe errichtet war. Sie bestand aus Holz, hatte aber ein Wellblechdach. Laska zog einen Schlüssel hervor und schloss auf. Sie musste sich ducken, als sie durch die niedrige Tür das Innere betrat. Dort drückte Laska auf einen Schalter, doch es ging kein Licht an.
    Stattdessen hörte sie ein Scheppern und leises Quietschen. Sie sah nach oben: Halb klappte das Dach auf, halb zog es sich zurück.
    In der Mitte der Hütte stand das große Teleskop. Es erinnerte an eine dicke, unförmige Regentonne, auf der eine zylindrische Gitterkonstruktion angebracht war.
    «Wie weit kannst du damit sehen?», fragte sie ihn und schaute wieder nach oben, wo sich das Dach ganz geöffnet hatte und den Blick auf den Sternenhimmel freigab.
    «Mhm.» Er überlegte kurz und begann, an dem Instrument herumzuhantieren.
    Anna hörte das leise Surren eines Motors. Auf Laskas Winken hin trat sie ans Okular. Sie sah einen kleinen, schwach leuchtenden Stern.
    « PG 1634+706 », sagte er. «Kein Stern, sondern ein Quasar. Ein Quasar ist …»
    «Ich weiß, was ein Quasar ist», entgegnete sie, «aktive Galaxie, mit Schwarzem Loch in der Mitte.»
    Das Schwarze Loch in der Mitte des Quasars zog alles in sich hinein, Gas, Staub, auseinandergerissene Sterne, die von dem unglaublichen Sog und der Reibung zum Leuchten gebracht wurden. Im Loch selbst hörte alles auf. Neun Milliarden Jahre, erklärte Laska (und sie musste über den Ton seiner Stimme lächeln, er klang wie der schulmeisterliche Professor in Kiew), habe das Licht von PG 1634+706 bis hierher gebraucht, zu dieser Zeit habe das Sonnensystem noch gar nicht existiert. So ein Quasar habe eine

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