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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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Lebensdauer von einigen hundert Millionen Jahren, dann sei das Futter für das Schwarze Loch verbraucht, also gebe es PG 1634+706 gar nicht mehr.
    «Wir schauen zurück», sagte sie, «wir schauen immer zurück.»
     
     
    Von jenem ersten Abend an saß sie beinahe jede Nacht im Observatorium. Laska hatte noch ein weiteres Teleskop, das, kürzer und kompakter gebaut, mit einer Digitalkamera ausgerüstet und mit dem Computer verbunden war und das er für die Kometensuche nutzte. So kam es, dass sie immer mehr Zeit an dem großen Reflektor verbrachte, Zeit, deren Vergehen ihr erst auffiel, wenn im Osten der Himmel über dem Horizont einen rötlichen Streifen zeigte und sie plötzlich ihre von dem langen Sitzen und der nächtlichen Kühle steif gewordenen Gelenke spürte.
    Sie stand spät auf, und wenn sie aus ihrem Zimmer herunterkam, saß Laska meistens schon an dem großen Tisch, der den Wohnraum im Erdgeschoss beherrschte, vor sich, auf dem Laptopbildschirm, die Fotos der vergangenen Nacht, die er nach unentdeckten Himmelskörpern absuchte, neben sich eine Tasse Kaffee. Er fragte, wie sie geschlafen habe, und sie fragte zurück, wie er sich fühle, und sie antworteten beide: gut. Draußen hatte sich die Sonne über die Hügel erhoben, und wenn Anna sich nach dem Frühstück auf der Terrasse vor dem Swimmingpool in einen Liegestuhl setzte, fiel sie oft in einen seichten, an eine Ohnmacht erinnernden Schlaf, aus dem sie manchmal erst am frühen Nachmittag erwachte.
    «Wir könnten in die Stadt fahren, wenn du dich langweilst», sagte er einmal.
    «Ich langweile mich nicht.»
    «Sicher? Du willst vielleicht etwas erleben.»
    «
Ich
werde noch genug erleben.»
    «Ich habe dir ein paar Zeitschriften mitgebracht.» Er legte einen Stapel Illustrierte auf den Tisch neben ihrem Liegestuhl, murmelte etwas vom Abwasch und ging ins Haus.
    Sie betrachtete die Illustrierten mit einer Mischung aus Neugierde und Verärgerung. Als Laska nicht zurückkam, folgte sie ihm in die Küche, wo er Gemüse putzte. Sie lehnte sich im Bikini an den Türrahmen.
    «Warst du schwimmen?», fragte er.
    «Nein.»
    «Wie sind die Zeitschriften?»
    «Wie kommst du darauf, dass ich so was lese?»
    «Entschuldige, ich dachte nur … mal was anderes … als Zeitvertreib.»
    «Warum fängst du nichts an mit mir?»
    Er nahm sich eine Paprika und hielt sie unter den aufgedrehten Wasserhahn.
    «Alle alten Männer sind scharf auf junge Mädchen», sagte sie. «Alle! Die Zeitschriften sind voll davon. Und auch die Bücher. Schauspieler, Sportler, der italienische Präsident!»
    «Ministerpräsident.» Er drehte den Wasserhahn zu. «Du könntest meine Tochter sein.»
    «Das hast du schon einmal gesagt.»
    Er wandte sich um und sah sie mit einer ihn wie eine dunkle Rüstung umhüllenden Ausdruckslosigkeit an.
    «Warum versuchst du nichts?»
    «Willst du das?», fragte er.
    «Nein.»
     
    Einmal die Woche fuhr er die gewundene Straße den Hügel hinab zum Arzt. Zumindest behauptete er das. Der Arzt habe seine Praxis in der nächstgrößeren Ortschaft, ein Spezialist für die Begleitung finaler Fälle, so sagte er, woraufhin sie ihn fragte, was in diesem Zusammenhang Begleitung bedeute, und er antwortete, es gehe darum, ihm den Rest der Zeit so angenehm oder vielmehr so wenig unangenehm wie möglich zu machen. Ihn zu begleiten eben.
    Wenn er beim Arzt war, wanderte sie durchs Haus. Sie fand mehrere Jahrgänge astronomischer Fachzeitschriften, Notizbücher mit Beobachtungsaufzeichnungen, Tankstellenquittungen, eine Kaffeetasse, auf der «España 1982 » stand, aber kein Fotoalbum, keinen Astronauten-Teppich, nichts. Auch kein Geld. In gewissem Sinne war das Haus noch unpersönlicher als jenes in Berlin. Andererseits hatte sich Laska hier mehr Mühe gegeben, alles wohnlich einzurichten und in Ordnung zu halten, und er hatte hier in den letzten Jahren offenbar auch viel Zeit verbracht. Hier war es, als ob ihm die Dinge noch gehorchten.
    In der Bibliothek ließ sie sich in einen Sessel fallen und sah sich um. Die Regale ragten hoch neben ihr auf, reichten bis unter die Zimmerdecke. Wie war sie bloß hierhergekommen? Lohnte es sich überhaupt, was sie hier tat? Sie versuchte sich vorzustellen, was sie mit dem Geld machen würde, das ihr Laska versprochen hatte. Und dann, plötzlich, fiel ihr ihre Mutter ein und die Nacht, in der sie gestorben war. Die Bar «Das Silo» fiel ihr ein und dass sie am Tresen gestanden hatte und betrunken gewesen war. Die Erinnerung daran

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