Bis zum Ende der Welt
stechend, sondern eher forschend, als wäre sie gespannt auf meine Reaktion. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Was hatte diese Nummer mit mir oder unserem Auto zu tun? Ich sah zum Nummernschild unseres Fords und dann wieder auf den Unterarm der Frau, vielleicht hoffte ich ja, die beiden Nummern wären ähnlich. Ich suchte nach einem Zusammenhang.
Noch einige Sekunden lang schaute mich die Frau an, dann spuckte sie mir vor die Füße.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie, den kleinen Karren quietschend hinter sich herschleifend, die Straße hinunter in die Richtung, die auch wir bald nehmen würden.
Ich saß auf dem Stuhl und bewegte mich nicht, bis sie hinter der Kurve verschwunden war.
«Was ist denn mit dir los?», fragte mein Vater, als sie wieder zurückkamen, «was guckst du so komisch?»
«Da war eine Frau», antwortete ich.
«Hoho! Hast du gehört?», rief er meiner Mutter zu, die bereits an der Beifahrertür stand, «die kleinen Französinnen interessieren sich schon für ihn!»
«Allmächtiger!», entgegnete meine Mutter.
Mein Vater lachte. «Was hat sie denn von dir gewollt, die Frau?»
«Nichts.»
Er stutzte. Einen Moment überlegte er wohl, ob er der Sache auf den Grund gehen solle, aber dann zuckte er mit den Achseln und stieg ein.
Cabral hatte schlechte Laune. Er saß hinter dem Schreibtisch und breitete Papiere vor sich aus, als wären es Tarotkarten, von denen sich sein Schicksal ablesen ließ. Hinter ihm stand eine neue weiße Tafel. Eine von der Sorte, auf der mit Magnethaltern Fotos befestigt und mit speziellen Filzstiften Pfeile und Linien gezogen werden konnten. Eine weiße Tafel, wie es sie in jeder Folge einer mittelmäßigen amerikanischen Krimiserie gab, um den scharfsinnigen Ermittlern und damit auch dem Zuschauer die rätselhaften und letztlich immer doch logischen Zusammenhänge der vergangenen fünfundvierzig Minuten zu offenbaren. Die Tafel war leer.
«Was machst du da?», fragte ich ihn.
«Ich bereite alles vor.»
«Du bereitest alles vor? Wofür?»
Er lehnte sich zurück, sah mich trübe an. «Der Finger ist wieder da.»
«War er denn je verschwunden?»
«Tritão war ihn losgeworden, ja. An die PJ . Und jetzt ist der Bericht gekommen.»
Das machte mich neugierig. «Und?»
«Er gehörte einer Frau. Aber sie war schon tot, als sie ihn verloren hat.»
«Heißt das, die PJ übernimmt doch?»
«Das heißt, die schicken uns einen her.»
«Was heißt herschicken? Wieso übernehmen das nicht einfach die aus Portimao?»
«Keine Ahnung. Sie schicken jemanden vorbei. Morgen oder übermorgen. Vielleicht aber auch erst am Montag. Personalengpässe, sagen sie, Einsparungen. Wir sollen schon mal alles vorbereiten.»
«Was denn, bitte schön?»
«Alles für den Spezialagenten, den sie uns aus Lissabon schicken wollen, damit er sich hier einnistet und wir für ihn die Tafel wischen.» Er deutete hinter sich. «Die kam heute mit UPS . UPS ! Und die reden von Einsparungen!»
Noch etwas anderes war geschehen. In einer Ferienanlage östlich von Sagres hatte es einen Einbruch gegeben. Das war nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich war, was man dem belgischen Touristen gestohlen hatte: Socken, Unterwäsche, Hemd, ein Paar Joggingschuhe sowie einen Trainingsanzug, auf dem in Großbuchstaben « BELGIUM » stand. Der Bestohlene war früher einmal Mitglied der belgischen Basketball-Nationalmannschaft gewesen.
«Das ist ein unersetzliches Erinnerungsstück!», hatte der Belgier Eufemia und Cabral angeblafft. «Und was hat dieser Schwuli mir dafür dagelassen, mhm? Seinen weißen Plüsch-Bademantel! Na toll!», rief er auf Englisch.
Cabral schwieg.
Eufemia nickte mechanisch. Sie hatte kein Wort verstanden. Gleichmütig hielt sie dem Belgier ein Formular hin: «Please sign here», sagte sie. Danach hatte sie den Bademantel eingepackt.
Schon immer mochte meine Mutter die einfachen Dinge. Sie mochte zum Beispiel die einfachen Lieder, mit denen portugiesische Sänger sich beim Grand Prix de la Chanson regelmäßig auf die letzten Plätze katapultierten. Immer noch mag sie diese alten amerikanischen Schwarz-Weiß-Filme, die an einem einzigen Ort spielen, vorzugsweise in einem einzigen Haus oder Zimmer, Filme, deren Besetzung bestenfalls aus nur vier Schauspielern besteht und deren Dramaturgie sich nach einer dem Zelluloid gleichsam innewohnenden Notwendigkeit abspult. Sie mag die kleine Welt, die nicht nur vom Allmächtigen, sondern auch von ihr selbst
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